Es mag wie ein Klischee klingen, aber wenn man denkt, es kann einen nichts mehr überraschen, dann kommt schon der nächste WTF-Moment um die Ecke gebogen. Schuld daran sind dieses Mal ÄERA, die Anfang Dezember ihren Erstling „Schein“ veröffentlichen werden. Dessen Mix aus klassischem Midtempo-Black-Metal, atmosphärischen Anklängen und kleineren Ausflügen in Post-Gefilde beeindruckt von der ersten Note an und wieviel die einzelnen Songs dazu beitragen, das schauen wir uns im Folgenden jetzt einmal etwas genauer an.
Wie schmal die Grenze zwischen klassischem, modernem und Post-Black Metal ist, verdeutlicht der Opener „Feuers Gabe“ äußerst gut: Atmosphärisches, bisweilen melancholisches Riffing im Midtempo baut den Track langsam auf und zieht den Hörer unmittelbar in den Bann. Dazu trägt auch das solide, unaufgeregte Drumming bei, dessen einziger Kritikpunkt die etwas zu dünne Kickdrum ist, ansonsten jedoch neben der weiteren Instrumentalfraktion voll überzeugen kann. Auch die zwischen gemäßigterem Keifen und Growlen schwankenden Vocals passen gut zum Gesamtsound und machen diesen Elfminüter direkt zum ersten Höhepunkt. Das kurzfristige leichte Anziehen des Tempos in der zweiten Hälfte geschieht fließend und zeigt den Willen im Songwriting auf, spannende Songs zu erzählen. Das gelingt dem Quartett ohne Frage, wie das folgende „Auf kargem Grunde“ beweist. Um einiges direkter im Aufbau, dank der abwechslungsreicheren Gitarrenarbeit jedoch auch vielschichtiger als der Opener legt die Band alle Fesseln ab und erschafft eine solch dichte Atmosphäre, dass man vom ersten Takt an komplett mitgerissen wird. Alleine schon die Leads sorgen dafür, das man gebannt vor der heimischen Anlage sitzt und jeder Note lauscht. Umso mehr, wenn ÄERA sämtliches Tempo komplett herausnehmen, einem gefühlvollen Break Platz verschaffen, nur um anschließend einer finsteren Aggression den ihr gebührenden Raum gönnen. Den beinahe fließenden Übergang zu „Silhouette“ darf man ebenfalls als sehr gelungen betrachten. Als Mittelpart des Albums und im Tempo wieder etwas gezügelter verschafft er eine Ruhepause, die durch den melancholischeren Unterton noch verstärkt wird. Trotz des zu jeder Zeit vorherrschenden Energielvels gelingt auch hier der Aufbau eines dichten Soundgewebes, das in Verbindung mit den stets sehr prägnaten Leads die Post-Anklänge deutlich durchschimmern lässt, ohne wirklich Post-Black Metal zu sein. Dieser Spagat gelingt nur den wenigsten Bands so perfekt, und wie frei man sich im Grunde von allen Genregrenzen fühlt, verdeutlicht das Abschlussdoppel mit „Heimkehr I – Ruin“ und „Heimkehr II – Im Nebel“: Aggressivere Parts wechseln sich mit akkustischen ab, die eine harmonische Einheit bilden und gleichsam der Modernität wie auch der Zurückgezogenheit in alte Erscheinungsformen des Genres den musikalischen Spiegel vorhalten. Nicht die Unterschiede zwischen den Lagern sind es, die diese trennen. sondern die beiden gemeine Meinung, für sich die einzig wahre Ausdrucksform in Anspruch zu nehmen. Dabei ist diese im Grunde völlig egal, zehren doch beide von ähnlichen Einflüssen, die sich immer wieder finden und stilübergreifend etwas so Wunderbares wie „Schein“ entstehen lassen. Eine Band, die in der zweiten Hälfte des Albumclosers gleichsam so melancholisch, episch und ausufernd, intensiv und wortgewaltig den Schlusspunkt unter einen eh schon starken Release setzt, weiß definitiv, worauf es in der Musik ankommt. Absolut großartig!
Wie völlig egal mir Genregrenzen im Grunde sind – sei es nun als reiner Musikfan, als Musikerin oder auch als Kritikerin – muss ich wohl niemandem mehr erklären, der mehr als zwei Reviews von mir gelesen hat. Diese stilistische Offenheit kommt nicht von ungefähr und ist – zum Glück! – auch kein Einzelfall. Denn seit je her gibt es immer wieder Bands, die diese Offenheit in ihrem Sound zu etwas ganz Eigenem verschmelzen, selbst wenn man sich in solch engen Grenzen wie im Black Metal und seinen Spielarten bewegt. Und seien wir ehrlich: Die wirklich großartigen Alben in den letzten drei, vier Jahren waren alle stilistisch nicht immer eindeutig zuzuordnen. Auch „Schein“ reiht sich in diese Riege bewegender Alben ein, das hoffentlich die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhält (was dieser Tage des hohen Outputs an sehr guten Qualitätsalben wegen sicher nicht einfach ist). ÄERA haben jedenfalls aus dem Stand weg ein starkes Zeichen gesetzt, das bei den Fans auch noch lange nachhallen wird, ob diese nun im Black Metal oder im Post-Black Metal zu finden sind. Ich bin begeistert! PFLICHTKAUF!!! +++ 9 / 10 Punkten
Bereits jetzt ist das Album als Pre-order im Webshop des Labels als Digipack-CD sowie im Bandcamp-Shop der Band digital vorbestellbar. Am Releasetag selbst wird es alle Infos zu den Formaten etc. wie gewohnt auch auf der Facebook-Seite von Black Salvation geben.
ÄERA – Schein
Black Metal from Germany
The Crawling Chaos Records
Running time: 43:44 minutes
Release date: Dececmber 6th, 2019 (all formats)
The Crawling Chaos Records Webshop
The Crawling Chaos Records Bandcamp
The Crawling Chaos Records Facebook
Äera Bandcamp
Äera Facebook
Review © 2019 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation