Kommt man in einem langen und intensiven Gespräch auf den Black Metal der ersten Welle zu sprechen, der kurz vor der Schwelle zur zweiten Welle Anfang der Neunziger stand, fallen erstaunlich oft die Namen Tormentor und Master’s Hammer. Waren letztere mit ihrem Sound eine ganze Generation zu früh dran, hatten gerade die Ungarn um Attila Csihar recht schnell einen Kult-Status aufgebaut, der zum einen ihrer Herkunft, zum anderen natürlich auch der musikalischen Klasse geschuldet war. Und das, obwohl man in der Zeit zwischen 1986 und 1989 gerade mal ein Live-Album, zwei Demos sowie eine Split unters Volk brachte. Die zudem auch nur eingeweihten Kreisen bekannt waren. Heute ist der Zugang zu Musik natürlich ein ganz anderer. Sei es durch die hohe Verfügbarkeit selbst obskurster Underground-Releases (irgendein Honk lädt halt immer irgendwas auf YouTube etc. hoch), sei es durch die hohe Anzahl an monatlichen Releases sowie die damit verbundene Schnelllebigkeit, mit der diese Veröffentlichungen verfallen, bedingt. Es tut immer gut, Alben neuer Bands in die Finger zu bekommen, deren Einflüsse 30 Jahre in die Vergangenheit zurückreichen, ohne dass diese selbst altbacken klingen; siehe das Beispiel Malokarpatan, um einmal in Osteuropa zu bleiben. Die Österreicher HAGZISSA sind ebensolch eine Band, die ihren Blick zwar in die frühe Metalszene Osteuropas schweifen lassen, dem Ganzen jedoch einen sehr frischen Anstrich verpassen.
Den „frischen Anstrich“ sollte man jedoch nicht falsch verstehen: Trotz einer relativ modernen, jedoch sehr warmen (wohl analogen?) Produktion, kann man dem Debüt „They ride along“ eine raue Grundatmosphäre nicht absprechen, was dem Soundgebilde, das da aus der Anlage schallt, äußerst gut zu Gesicht steht. Schon der Beginn des Openers „Die Pforte (A speech above the moor)“ mit seinem ersten doomigen und bösen Riff zieht den Hörer von der ersten Sekunde an unwiderstehlich in seinen Bann und lässt Bilder vor dem inneren Auge erstehen, deren Naturmystik der sie untermalenden Musik nur gerecht werden kann. Sobald man das Tempo anzieht (und gerade dem Drumming eine solide D-Beat-Grundlage verpasst), wird diese Immersion noch ein Stück intensiver, denn die eingestreuten Tempiwechsel sorgen dafür, dass sich das Gehörte tief in die Hirnwindungen einfräst. Hilfreich dabei sind auch die Vocals, deren Spektrum vom finsteren Gurgeln bis zum manischen Schreien so ziemlich jede Tonlage abdecken, die man sich wünschen kann. Über allem jedoch thront das Riffing: Das ist weder weltbewegend innovativ oder außergewöhnlich strukturiert. Aber dafür sind die abgefeuerten Riffs eines: Mächtig! Zwar nicht so drückend wie auf der aktuellen Darkthrone, aber dennoch tragen sie ohne große Schwierigkeiten jeden einzelnen Song. Ein Track wie „Irrsinnsdimensionen (A bath amidst the wells)“ beispielsweise, dessen Mittelteil ohne großartiges Tempo auskommt und eher als gewaltiges Break angesehen werden kann, funktioniert durch diese Gitarrenarbeit hervorragend. Überhaupt ist das Songwriting etwas, dass man wirklich gesondert hervorheben muss. Gerade das doch sehr puristisch anmutende Soundgewand macht den Zugang zu den Songs relativ einfach, ohne dass diese Art des Black Metal für jeden etwas wäre. Das mag sich etwas widersprüchlich anhören, doch man höre einfach mal in „Moonshine glance (An iron seed in sour soil)“ hinein: So sehr die Riffs auch an 1992 erinnern, sind es wieder einmal die Vocals, deren Orientierung an alten osteuropäischen Bands die Herzen entweder höher schlagen oder potenzielle Hörer kopfschüttelnd sich abwenden lassen. Und wer jetzt an Darthrone’s „Goatlord“-Album denkt, liegt so falsch nicht, da auch Fenriz und Konsorten zur damaligen Zeit große Freunde von Tormentor etc. waren. Je länger man HAGZISSA übrigens auf sich wirken lässt, desto intensiver wird der Vergleich, die Österreicher als Bastard aus Darkthrone und East European Black Metal zu bezeichnen, was – wie jetzt schon oft genug geschrieben wurde – schlichtwegs an den Riffs liegt, die auch bei den Norwegern seit jeher extrem wichtig für den einmaligen Sound waren. Und Tracks wie „Searing effigy“ oder der Quasi-Titeltrack „They ride along on the howling winds!“ sind wieder einmal Parade-Beispiele dafür. Während ersteres relativ zügig dahin galoppiert, mahlt sich zweiteres langsam seinen Weg nach vorne – und in beiden Fällen kann man nicht anders, als die Matte einfach kreisen zu lassen. Das ist einfach großartig und macht verdammt viel Laune! So ist es kein Wunder, dass auch die folgenden „The nightshade wilderness“, „Atavist kama aconite trance“ sowie der überragende Albumcloser „There, draw a circle!“ in diese Schnittmenge passen und das Album zu einem letzten Höhepunkt führen, den man aber wohl noch sehr, sehr oft auf sich wirken lassen wird.
Black Metal aus Österreich umweht bis heute eine gewisse Mystifizierung, da man bei den meisten Bands aus dieser Alpenregion eher die Zeit Mitte der Neunziger im Blick hat (Stichwort ABMS), denn die aktuelle Szene. Sicher wird es eine Band wie HAGZISSA aufgrund ihrer Kauzigkeit nicht leicht haben, daran etwas zu ändern. Doch das ist gut so: Denn Eigenständigkeit und Authentizität sind etwas, das man als Band hat, oder eben nicht. Und das trifft in diesem Falle definitiv zu, legt man mit „They ride along“ doch ein Album vor, das vor Energie, Einfallsreichtum und vor allem dem richtigen Spirit nur so strotzt! Eine kraftvolle Produktion tut ihr Übriges, um den sehr klassischen Black Metal gleichzeitig modern sowie retro klingen zu lassen, was beileibe nicht viele Bands in dieser Klasse beherrschen! Wer also generell als alter Schwarzheimer in der frühen Phase des Genres steckengeblieben oder aber erst neu in die Szene eingestiegen ist und nun nach der genau richtigen Band sucht, die beide Welten verbindet, der ist hier goldrichtig! Denn eines steht fest: Dieses Album wird verflucht lange auf Dauerrotation laufen und auch in zwanzig Jahren nichts von seiner Relevanz für die Szene verloren haben. PFLICHTKAUF!!! +++ 9 / 10 Punkten
Sowohl die physischen (CD und LP) als auch das digitale Format sind ab dem Releasetag im Webshop des Labels bzw. auf Bandcamp zu haben. Alle Infos dazu findet ihr natürlich – wie könnte es anders sein! – dann auch auf der Facebook-Seite von Black Salvation.
HAGZISSA – They ride along
Black Metal from Austria
Iron Bonehead Productions
Running time: 40:25 minutes
Release date: August 23rd, 2019 (all formats)
Iron Bonehead Productions Webshop
Iron Bonehead Productions Bandcamp
Review © 2019 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation
Sehr, sehr gutes Review. Ist nicht die erste Platte die ich mir aufgrund deiner Rezension zugelegt habe. Deine Seite ist wirklich sehr gelungen, trifft genau meinen Geschmack. Mach weiter so.
Vielleicht nimmst du dir ja mal die neue Totenwache „Der schwarze Hort“ vor, mich würde mal deine Meinung zu diesem kleinen Meisterwerk interessieren.