Zu den jungen Bands aus der heimischen Black-Metal-Szene, die man derzeit auf dem Schirm haben sollte, gehört definitiv das Bielefelder Quartett TONGUE, das 2015 mit seinem gleichnamigen Debüt schon das Interesse vieler Hörer wecken konnten. Nach einer Split 2017 mit Unru folgt nun in einigen Wochen das durchaus erwartete zweite Album „What do we know of horror“, das – soviel sie an dieser Stelle schon verraten – einen guten Schritt nach vorne macht. So ist das Songwriting nocch durchdachter und abwechslungsreicher arrangiert, was den Mix aus altem Black Metal der zweiten Welle mit den etwas zeitgenössischeren Tönen aus dem US-Black-Metal zu einer aufregenden Melange verschmelzen lässt. Auch die Produktion ist rundum gelungen; gerade in den ruhigeren Momenten erzielen die leiseren Töne eine fast schon unglaubliche Dynamik, die nichts von dem Druck wegnimmt, den das übrige Soundgerüst erzeugt.
So ist der fast schon besinnlich zu nennende Einstieg in den Opener „The secret shared with everyone“ eine wundervolle Einleitung in das folgende, melancholische Gitarrengewitter, dessen Riffs zwischen menschlichen Abgründen und erhabenen Naturschauspielen die passende Brücke schlagen. Das ruhige Break in der Mitte des Songs öffnet diesen weit und stellt die oben gezogene These unter Beweis, wie kraftvoll selbst die ruhigen und spärlich instrumentierten Parts wirken. Kein Wunder, dass diese ersten gut neun Minuten wie im Fluge vergehen und man sich plötzlich im Titeltrack „What do we know of horror“ wiederfindet. Die grandiose Instrumentalarbeit setzt sich hier nahtlos fort und an dieser Stelle sollte man nicht vergessen, den Vocals ein lobendes Wort auszusprechen: Das Spektrum spannt sich von tiefen, klaren Tönen über Growls bis zum Black-Metal-typischen, wütenden Keifen – was sich alles in diesem Track finden lässt – und sorgt somit auch hier für gehörig Abwechslung. Die Immersion, die man gerade unter guten Kopfhörern erlebt, ist immens. Hier ein Zitat von Darkthrone, dort eines von Wolves in the Throne Room – und das Ganze so kompakt und mit so viel eigenen Ideen zu einem ganz eigenen Sound vermengt, dass schlichtweg keine Zeit bleibt, großartig die einzelnen Einflüsse auseinanderzupflücken. Der nahtlose Übergang hin zu „A grave deeper than any dug by mortal hands“ ist zudem einer der besten, den ich seit langem genießen durfte. Dieser Track lässt sich schließlich mit zwei Worten zusammenfassen: Absolut bösartig! Das Riffing sowie die ganze Atmosphäre ist darauf ausgelegt, der Welt ihren miesen Zustand und der Gesellschaft generell den Mittelfinger zu zeigen. Mit „I spit venom“ folgt im Anschluss der Song, den man noch am ehesten fast durchgehend nach Skandinavien verfrachten könnte: Mich selbst erinnert das Riffing zunächst sehr stark an mittlere 1349 (zu Hellfire-Zeiten) – man fügt allerdings noch ein wieder sehr ruhiges Break ein und wandelt den Track danach in ein Midtempo-Monster, in dem sich Spuren von Tulus, Arckanum und selbst Kampfar finden lassen. Das ist ganz große Klasse und steht dem fast elf Minuten langen Albumcloser „Für niemanden von Wert“ in nichts nach: Dieser steigert sich von einem hypnotischen, repetiven Einstiegsriff in den ersten zwei Minuten zu einem wahren Ausbund an Tempiwechseln und Breaks und einem durchgängig misanthropischen Klangbild, was ein starker Kontrast zu Themen wie Heuchelei und Entfremdung ist, die auf dem Album behandelt werden und somit einem sowieso schon starkem Album den verdienten Höhepunkt beschert.
Es kommt ja beileibe nicht oft vor, dass sich heimische Black-Metal-Bands so frei von offensichtlichen Einflüssen geben, wie im Falle von TONGUE. Und das ist gut so: Denn obwohl „What do we know of horror“ das Kunststück fertig bringt, sowohl als begleitende Hintergrundmusik zu funktionieren als auch ein tiefes Abtauchen in die Musik unter den Kopfhörern zu garantieren, stellt sich nie die Frage: „Ist das jetzt skandinavisch, oder amerikanisch, oder sonst was?“ Von einem einzigen Track abgesehen, in dem die Einflüsse doch etwas zu offensichtlich sind, sind es generell die kleinen Nuancen in den Songs, die diese Einflüsse eher erahnen lassen, was dem längerfristigen Beschäftigen mit dem Album nur gut tun kann. Dem Bielefelder Gespann ist somit ein immersives und spannendes Album gelungen, das sich jeder einmal genüsslich durch die Ohren laufen lassen sollte. PFLICHTKAUF!!! +++ 9 / 10 Punkten
In Kürze wird das Album in den Pre-sale gehen. Infos dazu erhaltet ihr am schnellsten auf den Facebook-Seiten von Band und Label. Am Releasetag selbst wird es alle Infos rund um die erhältlichen Formate auch auf der FB-Page von Black Salvation geben.
TONGUE – What do we know of horror
Black Metal from Germany
The Crawling Chaos Records
Running time: 38:08 minutes
Release date: July 5th, 2019 (all formats)
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Tongue Bandcamp
Review © 2019 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation