Wenn es einen Vorteil gibt, den man aus der Situation, mit einem Hirntumor leben zu müssen, ziehen kann, dann ist das der folgende: Man hat plötzlich wieder viel mehr Zeit, sich mit Dingen zu beschäftigen, die einem neben seinem Hauptberuf wichtig sind. Sicher, ich liebe meine Arbeit im Steuerbereich (was aus konservativer Sicht natürlich ein krasser Gegensatz zur Musikszene ist, in der ich mich bewege) – aber letzten Endes fließt alle Leidenschaft doch immer zur ersten und ewigen Passion Musik. Gerade jetzt, wo ich krankheitsbedingt nur noch in Teilzeit arbeiten darf, ist es Trost und Fluch zugleich, durch den ungewollten Mitbewohner im Kopf weniger Zeit im Büro verbringen zu können: Trost, weil ich mich dadurch spannenden Bands widmen kann, die mich von dem permanenten Druck im Kopf ablenken; Fluch, weil dieser zeitweise so schlimm ist, dass ich im Grunde nichts anderes tun kann, als ruhig dazuliegen und zu warten, dass es wieder besser wird. Man durchlebt die Phasen, in denen großartige Musik läuft, anschließend auch viel intensiver, da der Fokus einzig und alleine auf dem Hineinsinken in diese besteht. So geschehen in den letzten 14 Tagen, die ich intensiv mit der aktuellen Split der Österreicher VARULV mit den heimischen WINTARNAHT verbringen durfte. „Unterweltmysterien“ ist dabei als Titel exzellent gewählt, da er die Stimmung des Albums einfach perfekt einfängt.
Dafür verantwortlich ist natürlich auch das Konzept, auf das ich einführend noch kurz eingehen möchte. „Unterweltmysterien“ beschäftigt sich mit den sogenannten „Erställen“ – unterirdischen Gängen und Räumen, deren Verwendungszweck man bis heute nicht kennt. Vielleicht dienten sie rituellen Zwecken oder der Totenbestattung; die vermutlich von der Kirche entdeckten Quellen dazu werden bis heute selbst seriösesten Forschern vorenthalten. So bleibt nur die Gewissheit, dass im Zuge der Christianisierung viele dieser Erställe zugeschüttet oder versiegelt wurden, um dem Aberglauben der einfachen Bevölkerung entgegenzuwirken. Über vielen der größten dieser mystischen Orte wurden zudem Klöster und Kirchen errichtet und den Menschen der Zutritt zu den unterirdisch liegenden Höhlen verboten.
In die Split startet man mit den Österreichern: „Felsengräber“ ist ein wüster Ausbruch klassischen Black Metals, wie man ihn seit Mitte der Neunziger kennt und lieben gelernt hat. Die zugleich melodische und melancholische Melodieführung ist, wie man es vor allem von finnischen Bands kennt, ein krasser Gegensatz zu den brutalen, gekeiften Vocals, die sehr kraftvoll die gewollte Atmosphäre untermalen. Mystische, archaische Themen eignen sich für diese Art von Black Metal generell, so dass das Zusammenspiel von Musik, Vocals und Lyrics kein Wunder ist. Auch der etwas rohere Ansatz in „Myren Saga“ fügt sich gut da hinein, zumal sich diese Rohheit auch in der Produktion widerspiegelt. Die drückt sich mit ordentlich Wumms aus den Boxen und ist dennoch differenziert genug, dass man die flirrenden Riffs gut voneinander unterscheiden kann. Die größte Überraschung sind jedoch die mehrstimmigen Chöre zur Mitte des Tracks hin, die ihn somit gewaltig auflockern und für viel Abwechslung sorgen. „In den rauen Nächten“ ist eine getragene Midtempo-Hymne, die der ungekrönte Höhepunkt dieses Triples ist: Erhabene Riffs, unterlegt von solidem Drumming und recht angenehm abgemischten Kickdrums lassen den Hörer über schneebedeckte Wipfel und tiefe Wälder schweben, was in dieser Form nur den wenigsten Bands im ansonsten straight nach vorne prügelnden Black Metal gelingt.
WINTARNAHT, die irgendwo zwischen klassischem Black Metal und frühem Pagan Black Metal anzusiedeln sind, können alleine schon rein atmosphärisch daran anknüpfen: Zwar nicht ganz so stark produziert wie die Kollegen, kann jedoch auch die zwei Drittel der Split umfassende Spielzeit dieses Ein-Mann-Projekts überzeugen. An anderer Stelle erwähnte ich ja bereits, dass Grimwald zu den umtriebigsten Künstlern in der Szene gehört – vergessen sollte man dabei allerdings nicht, dass seine Arbeit nie ein gewisses Niveau unterschreitet, so dass man im Grunde alle Veröffentlichungen, an denen dieser beteiligt ist, blind kaufen kann. So ist ist auch sein Eröffnungstrack „In Erd und ew´ger Nacht“ in erster Linie eine reinrassige und dennoch eigenständige Reverenz an die Zeit Mitte der Neunziger, als sich die ersten Black-Metal-Bands anschickten, ihr Riffing etwas hymnischer zu gestalten und auch mal epischen Klargesang zu verwenden. Diese Mischung funktioniert auch heute noch ausgezeichnet, so dass es eine wahre Freude ist, sich diesem Stil zu widmen. Besonders gut gefällt, dass man den epischen Gesangsparts nur sporadisch Raum einräumt, um so den Kontrast zu den Black-Metal-Vocals zu wahren. Und wer einen Song wie „Von Tor zu Tor“ mit solch geilem Riffing einläutet, der kann sich darauf verlassen, dass man als Hörer die Anlage jetzt erst richtig aufreißt. Guten Gewissens lässt sich zudem feststellen, dass man den Track auch ohne Weiteres auf einem Album wie „Blood Fire Death“ hätte finden können, so stark erinnert der Mittelteil zuweilen an selige Bathory-Großtaten. Der ambient-lastige Ausklang des Songs fügt sich ebenfalls gut in den Flow der Tracks ein und dient gleichermaßen als Brücke in das leicht einfadende, fast zwölf Minuten lange Epos „Seelenkammer“. Und ein Epos ist dieses ohne Zweifel: Episches und hymnisches Riffing wechselt sich mit wüsten und bösen Parts ab, die klaren Vocals sorgen immer wieder beinahe für Gänsehaut und das Drumming gefällt mir ausnehmend gut. Nicht auszudenken, wie sich dieser Track mit einer Top-Produktion anhören dürfte – obwohl ich diese im Grunde gar nicht will, denn ohne diese Rohheit würde wahrscheinlich doch einiges an Atmosphäre verloren gehen. Auch dieser Track schließt mit einem Ambient-Outro, was der Split nach dem wüsten Einstieg einen fast schon besinnlichen Ausklang verleiht.
Ich bin jeden Tag aufs Neue froh, wenn ich Alben wie diese Split in meine Anlage einlegen darf: Die unbändige Energie, die sowohl VARULV als auch WINTARNAHT an den Tag legen, das abwechslungsreiche Songwriting beider Bands und vor allen Dingen die stilistische Gratwanderung macht „Unterweltmysterien“ zu einer der besten Splits, die ich je gehört habe. Vom wütenden Black Metal bis hin zum epischen Pagan Black Metal wird ein breites Spektrum in eigentlich engen Grenzen so grandios bedient, dass sich jeder, der von sich behauptet, Black Metal zu lieben, hier angesprochen fühlen muss. Wer dieses Album verpasst, hat definitiv nicht mehr alle Nieten in der Kutte! PFLICHTKAUF!!! +++ jeweils 9 / 10 Punkten
Das Album gibt es entweder als auf 1000 Exemplare limitiertes Digipack im Webshop des Labels oder aber digital auf der Bandcamp-Seite von WINTARNAHT.
VARULV / WINTARNAHT – Unterweltmysterien
Black Metal from Austria / Pagan Black Metal from Germany
Talheim Records
Running time: 47:13 minutes
Release date: March 16th, 2019 (all formats)
Talheim Records Webshop
Wintarnaht Bandcamp
Review © 2019 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation