Fragt man heute irgendeinen x-beliebigen Black-Metal-Fan, warum er oder sie diese Musik hört, so stehen die Chancen 50:50, dass man eine der folgenden Antworten bekommt: Entweder „weil es rein atmosphärisch tolle und so vielfältige Musik ist, die einem so viel geben kann“ oder „weil sich die wahre Essenz allen Seins, alles Bösen, Satanischen hier wiederfindet und damit die eigenen Überzeugungen ausdrückt“. Rein vom Kern her ist sicherlich die zweite Meinung die richtige, wenn man Black Metal per se definiert. Aber ist es auch das, was die „Szene“ an sich heutzutage definiert? In einer Zeit, in der man weder durch obskure Cover-Artworks, umgedrehte Kreuze, Pentagramme oder martialisches Auftreten schockieren kann? Für 90 Prozent aller Bands und sicherlich auch die meisten Fans ist wahrscheinlich die erste Meinung die maßgebende, was sicherlich auch mit der sehr ideologiefreien Heransgehensweise zusammenhängt. Ganz zu schweigen davon, dass selbst der „zugänglichste“ Black Metal bis hin zum Post-Black-Metal nach wie vor keine Konsensmusik ist, sondern von den allermeisten Hörern mit einem Kopfschütteln abgetan wird. Dass sich in den letzten Jahren sehr viele kleinere Perlen finden lassen, die das Zeug zum genreübergreifenden Erfolg hätten, soll dabei nicht unerwähnt bleiben. In diese Kerbe schlagen beispielsweise auch die Magdeburger ASARHADDON, die mit „Reysa“ gerade ihr Debüt veröffentlicht haben, dessen textliches Konzept, „eine poetische Reise durch Raum und Zeit auf finsteren Irrwegen bis hin zum unausweichlichen Ende aller Dinge“, nicht nur lyrisch anspruchsvoll (aber niemals verkopft) daherkommt, sondern auch ein Thema darstellt, mit dem sich eigentlich jeder identifizieren kann, dessen Horizont weiter reicht als bis zur nächsten Türschwelle.
Und auch musikalisch lässt das Duo mit seinem jederzeit atmosphärischen Black Metal nichts anbrennen. Um einem potentiellen „Atmospheric“-Label dabei gleich mal jeglichen Wind aus den Segeln zu nehmen: Das Riffing lehnt sich zwar durchaus an diese Spielart an, beinhaltet jedoch ein wesentlich höheres Aggressionslevel und verzichtet zudem auf irgendwelche modernen Kabinettstückchen. Viel mehr lehnt man sich an alte Ulver und generell den alten norwegischen Black Metal an, dessen Naturverbundenheit und -liebe noch ohne schwülstige Arrangements auskam. So zieht einen der Opener „Der Ursprung“ gleich tief ins Geschehen hinein: Die gut neun Minuten vergehen wie im Flug, rasendes Tempo herrscht vor und wird gelegentlich von kurzen Breaks aufgelockert. Auch die in angenehm mittlerer Tonlage geschrieenen Vocals passen da sehr gut hinzu und runden das starke Songwriting ab, dass sich über das gesamte Album erstreckt. Denn trotz der erwähnten stilistischen Nähe zu den frühen Norwegen-Bands erarbeitet man sich etwas durchaus Eigenständiges, so dass es auch eher zum Schmunzeln anregt, fühlt man sich in den ersten Sekunden von „Die Vergängnis erwacht“ an Nornír erinnert, die ja einen ganz ähnliche Herangehensweise haben. Mit dem folgenden „Ein wahrlich wirrer Ort“ nimmt man das Tempo erstmalig weitestgehend heraus und baut ihn mittels eines düsteren und schleppenden Anfangs auf, bis er sich eruptionsartig entlädt und ein donnerndes Biest im oberen, ziemlich Bangerfreundlichen Midtempo zum Vorschein bringt. Auch hier gibt es immer wieder kurze Varianzen im Tempo, die für Auflockerung und Abwechslung sorgen. „Der Aufstieg“ kommt etwas zackiger daher, und allerspätestens hier sollte jeder Hörer bemerken, wie nahe sich der frühe norwegische und vieles vom heutigen finnischen Black Metal sind, wenn das raue Riffing ins ansatzweise melodische umschlägt. So unaufdringlich diese Einflüsse auch verarbeitet werden, so markant sind sie auch, was einen weiteren großen Reiz ausmacht, sich intensiv mit diesem Album zu beschäftigen. „Pfad ohne Kehrt“ ist nach dieser ersten halben Stunde auch Programm – wer es bis hierher geschafft hat, möchte und kann nie wieder umkehren. Der Track ist so voll purer Energie, dass man nicht umhinkommt, erneut für jede Sekunde dankbar zu sein, die man in diese Musik investiert hat. Was der sehr eindrucksvolle Schlusstrack „Am Ende ewiger Wasser“ dann direkt noch einmal unter Beweis stellt. Hier werden sämtliche Register des eigenen Songwritings gezogen, majestätische Landschaften fliegen vor dem inneren Auge vorüber und zum Schluss bleibt die Erkenntnis hängen, dass man soeben Zeuge des Beginns eines wahnsinnig talentierten Duos geworden ist, von dem man in Zukunft hoffentlich weitere Großtaten erwarten darf. Ich bin restlos begeistert!
Während des guten Dutzend Durchgänge, die „Reysa“ mittlerweile erlebt hat, hat sich mir ein Gedanke immer fester in die Hirnwindungen gebohrt: Wäre dieses Album Anfang, Mitte der Neunziger von einer norwegischen Band erschienen, würden wir heute davon sicher als einem Klassiker sprechen. Der Fluch der späten Geburt… Denn ASARHADDON bauen trotz dieser Referenz ein durchaus mächtiges Klanggebirge auf, wie es in diesem Segment des Black Metals nur noch die allerwenigsten Bands schaffen und sich zudem eine Eigenständigkeit bewahren, die für die tiefe Überzeugung und das Selbstverständnis spricht, die für authentisches Songwriting notwending sind. Auch ist mir lange keine Band mehr untergekommen, bei der ich mir gewünscht habe, dass es mehr Longtracks auf das Album geschafft hätten, denn gerade für dieses Format hat man ein außerordentlich gutes Gespür. Für das (hoffentlich) nächste Album vormerken: Lieber mit drei oder vier langen Tracks ein Album aufbauen, dankeschön! Wer sich für puristischen, naturphilosophischen Black Metal begeistert, ist hier definitiv an der richtigen Adresse. Denn: Warum immer in die Neunziger schweifen, wenn das Gute liegt so nah? PFLICHTKAUF!!! +++ 9 / 10 Punkten
Erhältlich ist das Album als auf 500 Exemplare limitierte Digipack-CD im Webshop des Labels, digital sowie in diversen Bundles via Bandcamp.
ASARHADDON – Reysa
Black Metal from Germany
Geisterasche Organisation
Running time: 51:20 minutes
Release date: February 29th, 2020 (all formats)
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Review © 2020 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation