Manchmal muss man einfach ehrlich zu sich selbst sein. In meinem Falle darf ich also sagen, wenn die Rede auf WALDGEFLÜSTER kommt: „Boah, warst du eine blöde Kuh, diese Band so lange nicht beachtet zu haben!“ Seit einer gefühlten Ewigkeit stehen diese auf meiner „endlich-mal-in-Ruhe-antesten-Liste“ – und trotzdem habe ich immer wieder anderen Bands den Vorzug gegeben. Weiß der Geier, was mich da geritten hat. Letzten Endes gibt es jedoch immer Hoffnung; selbst für chronisch mit Musik Überfütterte wie mich. Der Release-Wahnsinn der letzten beiden Jahre fordert so langsam doch seinen Tribut. Wie dem auch sei: Dank dem guten Ernie von KrachmuckerTV, der die Band im vergangenen Jahr das eine oder andere Mal in seinen Shows erwähnte und meinen Blick dann stets verschämt in Richtung genannter Liste schweifen ließ, habe ich vor ein paar Wochen begonnen, mich mit dem kompletten Backkatalog intensiv auseinanderzusetzen. Alter Schwede… Da wird einem rauer und zugleich atmosphärischer Black Metal auf dem Debüt „Herbstklagen“ geboten, was auf „Meine Fesseln“ und „Ruinen“ noch verstärkt wird; „Femundsmarka“ wartet mit einigen der melodischsten und berührendsten Parts auf, die mir jemals untergekommen sind und das im vergangenen April erschienene „Mondscheinsonaten“ klingt wie die Zusammenführung all dieser Elemente zuzüglich einiger weniger etwas folkiger angehauchter Töne. Wenn man zudem bedenkt, dass die ersten Releases quasi im Alleingang von Bandgründer Winterherz in Szene gesetzt wurden, nötigt das umso mehr Respekt für die Schaffenskraft ab, die hinter WALDGEFLÜSTER steht. Denn auch wenn man seit 2014 als vollwertige Band agiert, hat sich an der grundsätzlichen Ausrichtung wenig geändert, auch wenn das Songwriting natürlich differenzierter und ausgefeilter geworden ist. Somit ist es natürlich sehr spannend zu schauen, inwiefern sich die Neueinspielung des 2009er Demos „Stimmen im Wind“ auf die Dynamik in den Songs ausgewirkt hat.
Moment mal… Neueinspielung? Ich höre schon wieder die Trve-Fraktion in ihre mit Blut und Gewürm gefüllten Plastikkelche aus einem schwedischen Möbelhaus röcheln, dass da doch der ganze Spirit verloren geht, dass das nicht mehr authentisch ist, blablabla… Zugegeben, es gibt wahrscheinlich nur eine Handvoll Releases, denen man die Notwendigkeit einer Neuaufnahme zugestehen darf (und auch, wenn ich jetzt gesteinigt werde: ich halte die 2005er Version des Stormblast-Albums von Dimmu Borgir für wesentlich gelungener als das Original – rein vom Produktionsstandpunkt aus betrachtet, wohlgemerkt). Aber alleine die eben schon erwähnte veränderte Bandkonstellation rechtfertigt einen solchen Release, und anstatt einfach einen Re-release anzuschieben, ist diese Art der Wiederveröffentlichung allemal spannender.
Dass man es zudem schafft, die Rohheit und Wildheit des ursprünglichen Demos einzufangen, macht man direkt mit dem Opener „Morgendämmerung“ deutlich, der nicht nur der Ausgangspunkt für die Musik der Band (bzw. des Ein-Mann-Projekts damals) war, sondern auch verdeutlicht, welch ein Quantensprung hinsichtlich der Qualtität der Songs hinter den Mannen liegt. Den Stil, den man in der folgenden Dekade formen wird, findet man bereits im Signature-Track „Waldgeflüster“: Das zwischen melodischem und epischem Riffing schwebende Songwriting, das zuweilen mehr als einmal an alte Kampfar in ihren weniger vom Black Metal getragenen Momenten denken lässt; die eingestreuten Breaks mit ihren Wechseln zwischen treibenden und getrageneren Passagen und alles umrahmt von einer Naturromantik, die jedoch nie aufgesetzt, kitschig oder gar schwülstig wirkt. So ist es kein Wunder, dass auch die noch folgenden vier Tracks („Vintersjäl“, „Wotan sang“, „Wenn die Bäume“ und das Outro „Abenddämmerung“) vor Abwechslung nur so strotzen. Sicher, die Songs, die an der 10-Minuten-Marke kratzen, wirken durch ihr leicht repetitives Riffing oft langgezogen, jedoch erwischt man stets den genau richtigen Punkt, um mit einem Break oder einem anderen Riff die Spannung aufrecht zu erhalten und so trotzdem kurzweilig zu bleiben. Speziell das akustische Outro fügt einen sehr berührenden Abschluss hinzu und schließt den Kreis zum furiosen Beginn. Realisiert man dann, dass gerade vierzig Minuten vergangen sind, steigert dies die Begeisterung noch ein Stückchen weiter, denn so fühlt es sich wahrlich nicht an. Abschließend kann man eigentlich nur noch die Produktion erwähnen, die man recht rauh belassen hat, ohne jedoch auf eine gewisse Klarheit zu verzichten. Will heißen, es klingt nichts vermatscht, alle Spuren sind herauszuhören und man hat auch den richtigen Pegel zwischen Gitarren- und Drumspuren gefunden, dessen Unausgewogenheit gerade bei atmosphärisch dichten Bands oftmals ein Negativkriterium darstellt. Hier jedoch passt alles, so dass das Album seinen ganz eigenen Charme entwickeln darf und man nach jedem neuen Durchlauf gerne sofort einen weiteren starten wird.
Für eines bin ich WALDGEFLÜSTER nach diesen letzten Wochen intensiver Beschallung sehr dankbar: Und das ist der Umstand, dass man trotz so vieler atmosphärischer und manchmal sogar post-iger Elemente immer noch als Black-Metal-Band wahrgenommen werden kann. Denn auch, wenn das Genre ein weites Feld ist (und es heute langsam wieder selbstverständlich wird, mit diesen ganzen Unterkategorien zu brechen), hat man sich bis heute seine Wurzeln bewahrt. Stellt man „Stimmen im Wind 2020“ dem letztjährigen „Mondscheinsonaten“ gegenüber, fällt dies besonders gut auf. Die Weiterentwicklung, die man seit dem Erstrelease des Demos 2006 durchlebt hat, ist zwar unverkennbar, jedoch hat man sich seinen ganz eigenen Stil bewahrt – und genau das macht diese Neueinspielung so interessant wie relevant. Wir sehen hier eine vollwertige Band, die respektvoll mit ihren Ursprüngen umgeht und diese der immer weiter wachsenden Fanschar zugänglich machen möchte, ohne dabei auf einen schnöden Re-release zurückzugreifen. Egal, ob nun Neu- oder Altfan: Wer sich dieses kleine Stück Musikgeschichte entgehen lässt, verpasst eine der vermutlich besten Neuinterpretationen, die eine Band ihrem eigenen Material zukommen lassen kann! PFLICHTKAUF!!! +++ 9 / 10 Punkten
Der (fast) ausschließlich auf 12″-LP erscheinende Release ist via Bandcamp sowie in den Webshops von Band und Label bestellbar. Das Vinyl enthält zusätzlich noch einen Bonus in Form einer CD im Cardsleeve, auf der das ursprüngliche Demo mitgeliefert wird. Auch digital ist es natürlich erhältlich, aber ganz ehrlich: Ich für meinen Teil ziehe da doch lieber das Vinyl vor (wie immer).
WALDGEFLÜSTER – Stimmen im Wind 2020
Black Metal from Germany
Nordvis Produktion
Running time: 41:44 minutes
Release date: January 10th, 2020 (all formats)
Nordvis Webshop
Nordvis Bandcamp
Nordvis Facebook
Waldgeflüster Webpage
Waldgeflüster Bandcamp
Waldgeflüster Facebook
Review © 2020 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation