Mit gutem Death / Doom ist das so eine Sache: Entweder ist es einfach nur extrem langsam gespielter und downgetunter Death Metal oder aber die Elemente aus beiden Stilrichtungen sind so verkopft ineinander verwoben, dass man überhaupt keinen Zugang zur Musik findet. Wie es richtig geht, haben Bands wie My Dying Bride, Novembers Doom, Mourning Beloveth oder My Silent Wake vorgemacht, die trotz aller Unterschiedlichkeit eines gemeinsam haben: Ihre Musik lebt und atmet, pendelt von traurig schön hin zu boshafter Aggression und wieder zurück zu völliger Hoffnungslosigkeit. An dieser Klasse müssen sich alle Newcomer messen lassen und die meisten gehen auch gnadenlos unter. Nicht so jedoch die Spanier ONIROPHAGUS, die in den nächsten Tagen ihr Zweitwerk „Endarkenment (Illumination through putrefaction)“ veröffentlichen und dabei extrem viel richtig machen.
Das fängt bereits bei der Produktion an: Diese fühlt sich nicht so zähflüssig an, wie man das bei vielen anderen Genrevertretern findet, sondern ist dynamisch genug, damit sich die einzelnen Parts deutlich voneinander unterscheiden können. Aggressive Parts wirken auch so, die Melodien erhalten genügend Tiefe, um wirklich wirken zu können und verbreiten genügend Melancholie, die teilweise zum Heulen schön ist. Und zum ersten Mal seit langer Zeit fällt es mir schwer, irgendeinen Track über den anderen zu stellen. Dafür wirkt das Album trotz seiner langen Spielzeit von gut einer Stunde sehr kompakt und in sich geschlossen. Schon der Opener „Dysthanasia“ zeigt eine große Stärke der Band: Man hält sich nicht lange mit einem Intro oder ewig langen Einstieg in den Song auf, sondern startet direkt in den ersten Takten mit tiefen, gegrowlten Vocals; so, wie das My Dying Bride perfektioniert haben. Die Atmosphäre ist dabei sehr getragen und selten genug habe ich es erlebt, dass ein solcher Songaufbau – und dann noch dreizehn-einhalb Minuten lang – für soviel Spannung von Beginn an sorgt. Einziger Wehrmutstropfen: Die generell etwas zu dünn wirkenden Drums, sobald man das Tempo anzieht. Da ist definitiv noch Luft nach oben zum Feinschliff. Die Tempiwechsel funktionieren allerdings richtig gut und geben dem Album genau das, was ich in der Einführung bereits schrieb: „Endarkenment“ atmet! Und dankenswerterweise über die komplette Albumdistanz hinweg. Selbst ein fast zwei Minuten lang monoton vor sich hin rollender Einstieg wie in „Book of the Half Men“ ändert daran nichts. Denn die in der ersten Hälfte dieser elf Minuten immer wieder eingefügten – nur von Gitarre und Bass getragenen – Farbtupfer sind nahe dran, gefühlbetonte Menschen zum Heulen zu bringen. Auch der Ausbruch mit angezogenem Tempo fügt sich gut in den Track ein, bevor er melancholisch ausklingt. Bei einem Titel wie „Dark river“ denkt man natürlich direkt an die schon erwähnten My Dying Bride, und in der Tat ist man damit gar nicht mal so weit entfernt. Denn Songaufbau und Atmosphäre erinnern frappierend an die englischen Genregötter in den Jahren bis einschließlich „The light at the end of the world“: Relativ zackige Passagen wechseln sich mit den typischen Doom-Parts ab, die gegrowlten Vocals fügen dem Ganzen die nötige Portion Aggression hinzu und ständig wartet man darauf, dass ‚jetzt doch bald endlich der klagende Klargesang einsetzt‘. Doch darauf wartet man vergeblich. Denn ONIROPHAGUS sind schlau genug, immer sie selbst zu bleiben und nicht von anderen Bands abzukupfern. So erinnert man stellenweise durchaus auch an Necros Christus, wenn man mal etwas mehr Gas gibt, bevor unvermeidlich wieder traurig-schöne Gitarrenleads die Stimmung wechseln. Auf die Spitze treibt dies alles der 23-minütige Closer und Titeltrack „Endarkenment“. Denn der vereint nicht nur alles Stärken der Band in sich und bildet so einen ganz eigenen Mikrokosmos, sondern gehört zu den besten Tracks im Genre überhaupt: Gerade die aggressiven Parts wirken hier so böse und einschüchternd, dass man es fast schade findet, dass diese nur so selten auftauchen. Alleine diesen Track habe ich mir stundenlang immer wieder in Dauerrotation angehört, gerade wegen des akkustischen Mittelteils sowie des daran anschließenden puren Doom-Parts. Und allerspätestens an diesem Punkt dürfte JEDER Hörer zum Fan werden, der sich ernsthaft mit der Musik auseinandersetzt. Ich für meinen Teil bin es geworden…
Ich war skeptisch, als ich das erste Promomaterial zu diesem Album erhielt. Denn sobald Reverenzen in Richtung My Dying Bride auftauchen, werde ich extrem vorsichtig, da diese zu meinen absoluten Lieblingsbands zählen. Somit hatte das Album zwar einen schweren Einstand bei mir, konnte sich nach den ersten beiden Durchläufen jedoch schon positiv von vielen anderen in etwa gleich gearteten Bands abheben. ONIROPHAGUS schaffen es, sowohl den Death- als auch den Doom Metal-Anteil so geschickt zu verweben, dass weder Aggression noch Melodie und Melancholie verloren gehen. Für die Zukunft heißt es, jetzt nur noch Feintuning zu betreiben (bspw. den Drums in den schnellen Passagen mehr Punch zu verpassen), um wirklich outstanding zu werden. „Endarkenment“ ist dafür der perfekte Startschuss, den kein Fan von erstklassigem Death / Doom verpassen sollte. DEFINITIVE KAUFEMPFEHLUNG!!! +++ 8,5 / 10 Punkten
Ab dem 19.02.2019 erhaltet ihr „Endarkenment (Illumination through putrefaction)“ über den Webshop oder die Bandcamp-Seite des Labels als CD bzw. digital.
ONIROPHAGUS – Endarkenment (Illumination through putrefaction)
Death / Doom Metal from Spain
Xtreem Music
Running time: 57:54 minutes
Release date: 19.02.2019 (all formats)
Xtreem Music Webshop
Xtreem Music Bandcamp
Review © 2019 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation