Es gibt nichts Schöneres und auch nichts Furchterregeneres als das Meer: Ruhig und spiegelglatt bringt es die größten Sehnsüchte von uns Menschen zum Vorschein, rauh und vom Sturm gepeitscht vermag es die tiefsten Urängste zu erwecken. Wer einmal einen Sturm hautnah miterlebt und gefühlt hat, wie hilflos man angesichts der Naturgewalten ist, die einen umgeben, fühlt sich klein und unbedeutend; wir Menschen sind eben doch nur eine kleine, zufällige Randerscheinung der Geschichte. Aber eine, die es vermag, Gefühle und Emotionen dieser Art in wundervolle Musik zu packen: In diesem Falle sind es SERVANTS TO THE TIDE, die mit ihrem selbstbetitelten Debüt ein starkes und berührendes Stück Epic Doom erschaffen haben, dem wir uns im folgenden ein wenig genauer widmen werden.
Warum ich „ein wenig genauer“ und nicht wie sonst „ausführlich“ schreibe? Weil es ganz einfach Musik gibt, der man mit Worten nur unzureichend gerecht werden kann. Man muss sie auf sich einwirken, sich komplett in sie hineinfallen lassen, sie spüren und es einfach akzeptieren, dass sie einen anschließend komplett beherrscht. Dabei macht das Trio nicht unbedingt etwas Neues, die Einflüsse wie Atlantean Kodex, Solstice oder auch While Heaven Wept hört man deutlich heraus. Doch es gehört ein hohes Maß an songschreiberischer Klasse dazu, diese Einflüsse in solch großartige Musik zu verwandeln, dass man sie als Hörer komplett ausblenden kann. Und das vermögen die sechs Tracks in gerade einmal 34 Minuten wahnsinnig gut – und vor allen Dingen mit einer solch plastischen Bildersprache, wie sie selten anzutreffen ist.
Schon das akustische, mit Windgeräuschen untermalte Intro „Returning from Miklagard“ erschafft eine ungeheure Sehnsucht nach dem Meer, die von dem intensiven Hauptriff im eigentlichen Opener „A wayward son’s return“ noch um ein Vielfaches verstärkt wird. Wehmütige, melodische Leads in Verbindung mit den klaren Vocals lassen das Covermotiv in bewegten Bildern vor dem inneren Auge vorbeiziehen, Wellen von Emotionen brechen über einen herein und zurück bleibt nur die See. Der wird mittels dem folgenden „North Sea“ eine sehr beeindruckende Widmung geschaffen: So wechselhaft und tückisch dieses Meer sein kann, so abwechslungsreich gestaltet sich auch das Songwriting in diesem Track. Dunkles Rollen geht in ein etwas schnelleres Riffing über, bis sich dieses erneut in wundervollen Leads entlädt. Es ist dieser Spannungsaufbau, dem auch das ruhige Break kurz vor Schluss zugute kommt, bevor der Chorus noch einmal mit aller Macht zuschlägt und wahrlich zu Tränen rühren kann.
Doch das Trio setzt nicht nur auf tiefgreifende Emotionen: „On marsh and bones (The face of Black Palmyra)“ wirkt trotz des getragenen bis leicht angezogenem Midtempos etwas zackiger, was dem Album an sich eine schöne Dynamik verleiht und das Gesamtbild durchaus auflockert. Zusammen mit dem sich anschließenden „Your sun will never shine for me“ baut man diese besondere, nur schwer in Worte zu fassende Stimmung auf, wie man sie nur im epischen Doom findet. Erhaben, wehmütig und dennoch so von hoffnungsvoller Erwartung seines Endes erfüllt – kein anderes Genre vermag es, diesen für die meisten Menschen eher traurigen Gedanken in poetisches und musikalisches Glück zu verwandeln. Wenn schließlich der Titeltrack „A servant to the tide“ all die Essenz des vorher Beschriebenen in eine emotionale Reise verwandelt, ist dies nicht nur der Höhepunkt des Albums, sondern auch der Beginn eines musikalischen Abenteuers. Denn sobald das Album (und der Song) mit einem an das Intro angelehnten Klavieroutro ausklingt und sich die Wellen des Meeres für immer über uns schließen, bleibt eine Gewissheit felsenfest bestehen: Das, was wir soeben erfahren haben, war lediglich das erste Album einer der wohl stärksten Newcomer, die man jemals erlebt hat…
Ich wollte es wirklich vermeiden, eine Floskel wie „es sind gute Zeiten für Epic Doom Metal“ in das Review einzubauen. Doch sie passt erstaunlicherweise sehr gut hierher. Es sind nämlich wirklich gute Zeiten für epischen Doom Metal. Selbst wenn wir den Zeitraum etwas weiter fassen als nur zwei, drei Jahre, so fällt doch auf, dass es schon länger kaum noch schlechte Alben in diesem Genre gegeben hat. Und in schöner Regelmäßigkeit kommen neue Bands hinzu, die die momentane Speerspitze sogar noch breiter und fester machen. SERVANTS TO THE TIDE sind dabei der neueste Zuwachs – und was für einer: Deren selbstbetiteltes Debüt ist ein emotionales Meisterwerk, das erhaben, ergriffen und wehmütig zugleich stimmt und dabei mit einer druckvollen und dynamischen Produktion wirklich jeden Metalfan glücklich machen wird, Doomer oder nicht. PFLICHTKAUF!!! +++ 9,5 / 10 Punkten
Erschienen ist das Album via No Remorse Records und ist erhältlich als CD, digital sowie als 12″-LP auf schwarzem oder silbernem Vinyl (100 Exemplare).
SERVANTS TO THE TIDE – Servants to the Tide
Epic Doom Metal from Germany
No Remorse Records
Running time: 34:05 minutes
Release date: March 26th, 2021 (all formats)
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Servants to the Tide Bandcamp
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Review © 2021 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation