Black Metal aus dem Vereinigten Königreich haftet seit jeher etwas ganz Eigenes an: Weder orientiert man sich übermäßig an den Skandinaviern, noch an den übrigen Bands vom europäischen Festland. Zumindest oberflächlich betrachtet; denn geht man in die Tiefe, finden sich durchaus Bezüge zu der ein oder anderen Band. Allerdings wurden und werden diese Einflüsse stets relativ geschickt verpackt, um ein gewisses Maß an Eigenständigkeit zu wahren. Zu den wenigen Ausnahmen, denen man ihre Inspirationen deutlich entreißen kann, gehören die Londoner FORMICARIUS, die bisher auf eine Single sowie ihr 2017 erschienenes Debüt zurückblicken können. Neben immer wieder durchschimmernden Emperor-Anleihen (aus der mittleren Phase) findet sich vor allem eine Band dominant verantwortlich für den Stil, der hier geboten wird: Cradle of Filth. Das kann man als Anhänger der Trve-Fraktion oder als Verächter jedes noch so geringen kommerziellen Erfolges blöd, schlecht oder sogar richtig scheiße finden – allerdings sollte man sich auch vor Augen führen, dass es selbst von im Underground geachteten Musikern Beispiele gibt, die Cradle bis zur „Dusk and her embrace“ die Treue gehalten haben (Ernie von Krachmucker, ich schaue in deine Richtung). Ich gebe auch ganz ehrlich zu, dass ich bis heute von dem abnormalen Gekreische auf deren „Vempire“-EP Gänsehaut bekomme und die Band generell bis einschließlich „Cruelty and the beast“ ein verdammt hohes Energielevel hatte, das sie danach nie wieder erreichten. Sicher, ich fand den hohen Output gerade an Shirts in den ersten Jahren auch extremst störend, was ja mit ein Grund für den raschen Vorwurf des Ausverkaufs der Szene wurde. Aber betrachten wir diesen Punkt mal aus heutiger Sicht: Kann man es einer jungen Band verdenken, die sich wahrscheinlich den Arsch abfreut wegen des Erfolges, dass sie die Nachfrage an Merchandise decken möchte? Und man sollte sich auch vor Augen führen, dass gerade die Shirts stets eine hohe Qualität hatten, was Druck und Optik anging. Natürlich hat das nicht dem entsprochen, wofür Black Metal bis heute steht: Der Fuck-off-Attitüde gegenüber sämtlichen gesellschaftlichen Konventionen, was ich nach wie vor so sehe und was mit ein Grund ist, weshalb ich der Szene immer noch treu bin. Jedoch gehöre ich auch zu der Sorte Mensch, die alles von jeder nur möglichen Seite betrachtet und daraus ihre Schlüsse zieht. Das passt natürlich nicht zu der Mentalität der ganzen „Kartoffelkeller-Black-Metaller“, aber das kümmert mich herzlich wenig. Wer mich kennt, weiß, wofür ich und damit auch Black Salvation stehen und dass ich mich weder als Fan noch als Musikerin in dem einschränken lasse, was ich gut finde und was mich inspiriert.
Nach dieser langen Vorrede soll es nun aber um „Rending the veil of flesh“ gehen, dem bald erscheinenden zweiten Album besagter FORMICARIUS. Als erstes kann man dem Quintett attestieren, dass sie den Sound und die typische Atmosphäre der frühen Cradle of Filth sehr authentisch eingefangen haben, verzichten zum Glück allerdings auf deren chaotische Momente. Vielmehr legen die Londoner ihr Augenmerk auf ausgereiftes Songwriting, was dank der sehr klaren, wenn vielleicht auch ein wenig zu glatten Produktion sehr gut umgesetzt wirkt. Im Vergleich dazu wirkte das Debüt noch um einiges roher und ungeschliffener, so dass man sich durchaus die Frage stellen lassen muss, ob dies nicht der bessere Weg auch für das zweite Album gewesen wäre. Dazu schauen wir uns nun einmal die Songs selber an. Bereits der recht majestätische Opener und Quasi-Titeltrack „Beyond the veil of flesh“ macht deutlich, dass man auf diesem Release den Schwerpunkt eher auf nach vorne drückende Songs mit nur stellenweise etwas deutlicher akzentuierter Keyboard-Untermalung setzt. Die Synths sind zwar mehr oder weniger latent vorhanden, jedoch niemals so stark im Vordergrund, wie das oftmals noch auf dem Vorgänger der Fall war. Selbst ein zu Beginn noch sehr ruhiger Track wie „Dieu et mon droit“ steigert sich nach und nach in seiner Dynamik und erinnert nicht zufällig an Bands aus dem norwegischen Symphonic Black Metal (ohne allerdings irgendwelche Dimmu-Referenzen einzubauen). Diese Verquickung des britischen Stils mit melodischen und symphonischen Elementen dürfte für den beinharten Black-Metaller zwar viel zu soft sein, aber aus rein musikalischer Sicht ist das sehr gelungen. Überhaupt ist die Abwechslung sehr reichhaltig gehalten, was auch schon eine Stärke des Debüts war. „Within the depths“ ist wieder um einiges zackiger unterwegs und hat einen für diesen Stil ordentlichen Punch, auch wenn die Drumarbeit nicht ganz so stark ausfällt wie beispielsweise bei einem Nicholas „Uncle Fester“ Barker. Jedoch ist es extrem solide und ein fester Unterbau für die Songs, was manchmal ja auch wichtiger ist. Die größte Verbeugung in Richtung Cradle’s „Dusk…“-Album ist das folgende „Early will I see thee“: Nicht nur der Keyboard-Untermalung wegen, die in dieser Form auch ohne Weiteres auf diesem Überalbum hätte stehen können – im Grunde gilt dies für den kompletten Track, ohne dass dieser eine bloße Kopie wäre. Sehr atmosphärisch im Midtempo gehalten, fügt er dem Gesamtkonzept eine weitere sinnvolle Note hinzu, was durch das schöne Zwischenspiel kurz vor Schluss noch untermalt wird. „Inherit our sickness“ geht da noch eine Spur straighter zu Werke, was den Kontrast aus relativ puristischem, britischem Black Metal mit den an Kirmes-Orgeln erinnernden Keyboards doch sehr frappierend ausfallen lässt. Was an dieser Stelle deutlich wird und einen großer Gegensatz zu den Neunzigern darstellt: Die Tastenarbeit ist heute viel ausgereifter und sinnvoller in die jeweilige Musik integriert, als das früher der Fall war. Die Möglichkeiten werden viel mehr ausgeschöpft und der Tastenarbeit wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet, so dass diese nicht mehr nur schmückendes Beiwerk mit oft eher belanglosem Geklimper darstellt, sondern durchaus von atmosphärischer Untermalung bis hin zu einer tragenden Rolle im Gesamtsound ein weites Spektrum abdeckt. Nehmen wir als Beispiel „The fourth horseman“, in dem die Keys über weite Strecken eine ebenso tragende Rolle wie Gitarren und Drums einnehmen, ohne als Fremdkörper zu wirken. Zu den stärksten Tracks gehört vor allem „Stalker among the stars“, dessen so stark nach vorne treibendes Intro so viel Atmosphäre versprüht, dass selbst das stakkato-artige Riffing im folgenden Part nur unwesentlich stört. Und dennoch: Was hätte dies für ein Song werden können, wenn man hier weniger auf Technik, sondern rein auf die Atmosphäre gesetzt hätte! Natürlich ist dies Kritik auf hohem Niveau, denn die erwähnte Technik an den Instrumenten ist über jeden Zweifel erhaben (im Symphonic (Black) Metal ist es wie im Thrash: du MUSST verdammt gut spielen können!), so dass auch das sich anschließende „Crimson purge“ von dieser profitiert. Steigern kann man dies jedoch nochmals um ein Quäntchen im Albumcloser „O, dread impaler“, das einen fulminanten Schlusspunkt unter ein Album setzt, von dem die meisten Hörer vermutlich wenig erwarten, aber umso mehr überrascht vom hochklassigen Songwriting sein werden. Ich bin schwer begeistert, auch wenn im Endeffekt ein Quäntchen mehr Rohheit vom Debüt hätte übrig bleiben dürfen!
Was an dieser Stelle folgt, ist ja klar: das Fazit! Und da schlagen – ach! – zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits ist da die leise Stimme im Hinterkopf, die sich an der fehlenden Originalität stört; in dieser Hinsicht sollte man auch als Fan dieses Stils ehrlich sein. Jedoch ist das Können an den Instrumenten so beachtlich, das Songwriting so authentisch und ehrlich und mit so viel Spielfreude unterlegt, dass man andererseits auch attestieren muss, dass „Rending the veil of flesh“ verdammt viel Spaß macht! Denn anders als vielen anderen Genrevertretern nimmt man FORMICARIUS ab, dass sie diesen Stil wirklich lieben und leben, was sich in den eben erwähnten Punkten sowie der allgegenwärtigen Atmosphäre auf dem Album bemerkbar macht. Hier von einem Plagiat zu sprechen, wäre mehr als unangebracht; vielmehr sollte man es als Weiterführung und Entwicklung eines Stils ansehen, der endlich zu seiner wahren Form gefunden hat: Weg vom unnötigen Pseudo-Bombast der neunziger Jahre, hin zu einer puristischeren und damit umso stärkeren Form! Ich bin sehr gespannt darauf, wie sich die Londoner in Zukunft noch entwickeln werden, doch für den Moment bleibt mir der Begeisterung und auch meiner ehrlichen Zuneigung wegen nur noch dies zu sagen: PFLICHTKAUF!!! +++ 9 / 10 Punkten
„Rending the veil of flesh“ wird ab dem Releasetag als CD und vermutlich auch digital erhältlich sein. Alle Infos dazu wird es dann natürlich wie schon gewohnt auch auf der Facebook-Seite von Black Salvation geben.
FORMICARIUS – Rending the veil of flesh
Black Metal from the United Kingdom
Schwarzdorn Production
Running time: 43:32 minutes
Release date: September 13th, 2019 (all formats)
Schwarzdorn Production Webshop
Schwarzdorn Production Bandcamp
Review © 2019 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation