So ein bisschen voreingenommen ist, glaube ich, jeder Musikliebhaber, wenn es sich um Genres handelt, mit denen er im Normalfall nicht sonderlich viel am Hut hat. Ich bin da auch nicht anders und schaue bei mir unbekannten Bands immer mal in den Metal Archives nach. Sobald ich dort Bezeichnungen wie „Atmospheric“, „Melodic“ oder „Folk“ in Verbindung mit Black Metal lese, gehe ich meistens eher skeptisch an die Sache heran. Ist natürlich unvorteilhaft, wenn man Redakteurin für ein im Aufbau befindliches Online-Magazin ist. Ich denke jedoch (und ich kann jetzt wirklich nur für mich sprechen), dass es guten Musikjournalismus ausmacht, trotz persönlicher Vorlieben immer fair zu bleiben. Und sich vor allen Dingen auch mal mit den Promomaterialien auseinanderzusetzen, was viele wohl auch nicht immer machen. Denn wenn wir mal bei der Metal Archives-Klassifizierung bleiben: Ja, die Musik ist sehr melodisch und atmosphärisch. Ja, es gibt sehr viele Folk-Einflüsse in der Musik. Aber von welchem Black Metal-Anteil ist denn da bitte die Rede? Und es ist in diesem Falle gut, dass dieser nicht existiert: Dem schottischen Ein-Mann-Projekt SAOR jedenfalls kann ich einfach so gut wie keine schlechten Seiten abgewinnen. Denn wer es schafft, mir nur alleine durch die musikalische Darbietung das Gefühl zu vermitteln, irgendwo in den Highlands am Kaminfeuer zu sitzen und sich dabei guter Lyrik zu widmen, hat wohl etwas richtig gemacht. Und zwar folgendes: Wir haben es hier nämlich mit richtig atmosphärischem Folk / Celtic Metal zu tun. Im Grunde sind SAOR also genau das, was zumindest ich mir unter Folk Metal vorstelle, im Gegensatz zu vielen anderen Kaspertruppen, die man namentlich wohl kaum zu erwähnen braucht. Der Sound ist episch, es werden hier keine gezwungen fröhlichen Melodien gespielt, sondern diese wecken regelrecht eine Wehmut nach längst vergangenen Zeiten. Dazu tragen auch die Lyrics der fünf Songs bei, die allesamt aus klassischer schottischer Lyrik geschöpft sind. Und was ich am allerwenigsten erwartet hätte: die Produktion haut den Hörer regelrecht um. Hier ist nichts glatt geschliffen; das Album wirkt trotz aller Melodik recht roh und verbreitet dabei die dazu passende Atmosphäre. Bagpipes, Bodhrán und Geige spielen sich nie in den Vordergrund sondern bleiben immer Teil des harmonischen Ganzen mit Drums, Gitarren, Bass und Gesang. Ich möchte nicht sagen, dass das Album perfekt ist (warum, folgt auch gleich). Aber ich habe in diesem Bereich schon lange kein Album mehr gehört, was das Prädikat „atmosphärisch“ so sehr rechtfertigt wie „Guardians“. Und wer mein Review zum aktuellen DEAD LIMBS-Album kennt, weiß ja, worauf es mir in dieser Hinsicht ankommt. Zum Abschluss nun noch ein Punkt, der mich richtig stört: Und das ist ausgerechnet der Gesang. Dieser findet einfach zu weit im Hintergrund statt, was nicht so ganz zur sonstigen Atmosphäre passt. Vielleicht ist das auch einfach nur Geschmackssache. Aber zumindest reinhören sollte jeder in dieses Album, der Folkanteile im extremen Metal mag. Ich für meinen Teil war nach dieser knappen Stunde Musik mehr als nur positiv überrascht. Definitiv: Kaufempfehlung! +++ 8 / 10 Punkten
Das kleine Meisterwerk könnt ihr über Northern Silence Productions entweder als auf 1000 Exemplare limitierte Digipak-CD (schnell sein lohnt sich jetzt, da nur noch ein kleiner Bestand vorhanden ist) oder auch als normale Jewelcase-CD erwerben. Ihr habt aber auch die Möglichkeit, euch über den Bandcamp-Shop von SAOR ein Bundle aus Shirt und CD zu ordern bzw. das Album als digitalen Download zu kaufen. Die von Nebular Winter Productions herausgegebene und auf 250 Stück limitierte Tape-Version ist leider schon vergriffen.
SAOR – Guardians
Atmospheric Folk / Black Metal from Scotland
Label / Vertrieb: Northern Silence Productions (Digipak- und Jewelcase-CD) + Bandcamp (Download)
Running time: 55:56 minutes