Es gibt Bands, um die kommt man schlicht und einfach nicht herum, beschäftigt man sich mit Black Metal aus Deutschland. Die wohl einflussreichste und die am meisten Spuren hinterlassende war neben Lunar Aurora vor allem NAGELFAR. Bereits mit ihrem Debüt „Hünengrab im Herbst“ veröffentlichten die Nordrhein-Westfäler Ende 1997 ein Album, dass in der kompletten Szene bejubelt und sowohl von Tradionalisten als auch dem aufgeschlosseneren Teil der Szene hoch geschätzt wurde. Bemerkenswert ist das vor allem deswegen, da diese generell bereits hochzerstritten war und sich Elitisten und „normale“ Musikhörer, die den Black Metal lediglich als ein musikalisches Genre ansahen, indem man eben auch experimentieren durfte, spinnefeind gegenüber standen. Jede Gratwanderung wurde extrem kritisch beäugt und von der jeweiligen Seite entweder abgefeiert oder mit totaler Verachtung gestraft. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, machten es sich NAGELFAR nicht gerade einfach, indem sie Klargesang und eine extrem dichte Atmosphäre in ihren Sound einbrachten, was damals nicht gerade zum „trven“ Szenstandard gehörte. Die musikalische Entwicklung der Band in den Folgejahren bis zum Split kann man als durchaus spannend bezeichnen, da jedes der drei Alben zwar immer eindeutig als eines von NAGELFAR erkennbar war, man sich jedoch nicht auf eine allgemeine Formel reduzieren ließ.
Dieser Umstand legt auch die heute immer noch hohe Beliebtheit der Gruppe nahe, so dass sich Ván Records dazu entschlossen, die drei Full-length Alben „Hünengrab im Herbst“, „Srongtgorrth“ und „Virus West“ als DLP’s zu re-releasen. Daneben wird es auch CD- und LP-Re-releases der Demos sowie eine weitere DLP mit anderweitig verwendeten Tracks geben. Eine genaue Auflistung der kompletten Re-release Serie folgt morgen in einem separaten Artikel.
„Hünengrab im Herbst (1997)“
Nach einem kurzen Intro steigt man direkt mit „Seelenland“ in ein extrem atmosphärisches Stück ein, das von sehr dominanten, sphärischen Keyboards unterlegt ist und vom Wechselspiel zwischen Black Metal-Vocals und klarem Gesang lebt. Als Opener überrascht es insofern, da man einen Track an den Anfang stellt, der nicht für das komplette Album representativ ist und den Keyboard-Sound im weiteren Verlauf des Albums auf ein Minimum reduziert. Das folgende „Schwangengesang“ begeistert nicht nur durch seine 14 Minuten Spielzeit, sondern vor allen Dingen durch die musikalische Vielfalt, die hier gezeigt wird. Black Metal-Passagen treffen auf ruhige Momente, Klargesang und das jederzeit über allem thronende Drumming von Meilenwald. Das Keyboard wird ab nun nur noch sehr sporadisch eingesetzt. Bei mir jedenfalls hat der Track zudem mit dazu beigetragen, dass ich nicht mehr vor solch langen Stücken zurückschreckte. In den Titeltrack führt ein sehr klassisches Klavierspiel mit klarem Gesang ein, dass zum Ende hin immer mehr in sphärische Soundkaskaden mündet und den Klargesang in ein heiseres Beschwören steigert. Für einen Titeltrack sehr ungewöhnlich. „Bildnis der Apokalypse“ ist einer der wohl Black Metal-typischsten Songs auf dem Album, der nach ungefähr der Hälfte jedoch auch einen ruhigen Part mit erstmals gegrowlten Vocals aufweist, bevor er im Doublebass-Feuer ausläuft. Weiter geht es mit „Srontgorrth (Das dritte Kapitel)“, welches das bereits auf den beiden Demos begonnene und lose zusammenhängende Konzept weiterführt. Auch hier wird der Black Metal wieder regelrecht in all seinen Facetten von purer Raserei und ruhigen Passagen zelebriert. Der Klargesang wirkt, wie schon in den vorangegangenen Tracks, nicht einfach aufgesetzt, sondern als elementarer Teil des Gesamtsounds. Das abschließende „Der Flug des Raben (Ein Jammerschrei in traurig‘ Nächten)“ schließt dieses großartige Album ab, indem nochmals alle Trademarks gebündelt und zu einem weiteren 14-Minüter verschweißt werden.
„Srontgorrth (1999)“
Das etwa 18 Monate später erscheinende zweite Full-length-Album „Srontgorrth (Die Macht erfasste das Meine wie die Angst das Blut der Anderen)“ enthält zunächst die bereits bekannten ersten drei Kapitel von „Srontgorrth“ (erschienen auf den Demos sowie dem Debüt). Es befinden sich jedoch auch noch zwei weitere, neue Kapitel auf dem Album. „Kapitel vier, der Winter: Trümmer“ sowie „Kapitel fünf: Willkommen zu Haus“. Letzteres wird voraussichtlich jedoch leider nicht auf dem kommenden DLP-Re-release enthalten sein. Konzept-Alben im Black Metal waren Mitte 1999 noch etwas völlig Neues, so dass man gespannt darauf war, wie sich alle Tracks zusammenfügen würden. Und das gelang ausgezeichnet. „Kapitel eins, der Frühling: Als die Tore sich öffnen“ beginnt mit einem spacig wirkenden Intro, das in ein fast 17 Minuten andauerndes Stück rasenden Black Metals einführt. Die Melodiebögen der Gitarren bilden eine Einheit zusammen mit den Keyboards und sind in den ruhigen Passagen unheimlich schön aufeinander abgestimmt. Ein gewisser Hang zur Romantik lässt sich hier nicht absprechen. Der wird allerdings beim Wechsel in die schnelleren bzw. Midtempo-Passagen auch wieder relativiert. Selbst heute, annähernd 18 Jahre später, beeindruckt die freigesetzte Energie und man ist beinahe überrascht, dass das Stück mit wieder sehr spacigen Sounds endet. „Kapitel zwei, der Sommer: Die Existenz jenseits der Tore“ spielt mit ähnlichen Elementen wie das voraus gegangene Stück, Die ebenfalls wieder etwas mehr als 16 Minuten sind allerdings weniger verspielt als der Opener und bilden somit schon mal Abwechslung innerhalb des Spannungsbogens. Die zahlreichen Tempiwechsel und die in der zweiten Hälfte immer wieder vorhandenen (Synth-)Bläser zeugen erneut von der Experimentierfreude NAGELFAR’s. Ein regelrecht dramatisches Stück, das ähnlich spacig endet wie „Kapitel eins“. „Kapitel drei, der Herbst: Endzeit“ ist den meisten nun bereits vom Debüt her bekannt, wurde jedoch, wie auch die beiden ersten Kapitel neu aufgenommen und in kleinen Teilen neu arrangiert. Da die Veränderungen sich jedoch im Sekundenbereich befinden, sind sie eigentlich kaum wahrnehmbar. Der erste neue Track auf „Srontgorrth“, „Kapitel vier, der Winter: Trümmer“, ist das bisher experimentellste Stück der Band. Mehr Ambient als Black Metal ist es für die meistens Fans sehr gewöhnungsbedürftig. Alleine durch den erzeugten Kontrast innerhalb des Albums ist es jedoch auch ein mutiges Experiment, der durch „Kapitel fünf: Willkommen zu Haus“ noch verstärkt wird. Der 18-Minüter bietet hier das ganze Spektrum NAGELFAR’scher Musikalität dar: Von rasendem Black Metal in seiner ureigensten Form bis hin zu ruhigen Momenten ist alles vertreten, wofür man die Band liebt. Ebenso wie das Debüt ein fantastisches Album!
„Virus West (2001)“
Zwei Jahre später erscheint „Virus West“. Die größte Veränderung ist der Wechsel im Line-Up vom bisherigen Sänger Jander hin zu Zingultus (u.a. Endstille, Graupel). Doch nicht nur das fällt gleich im Opener „Hellebarn“ auf. Auch von der Produktion wirkt das Album ungezügelter und auch trockener (besonders der Snaresound). Der Klargesang findet meist nur noch im Hintergrund als dunkle Untermalung statt, was atmosphärisch im Gegensatz zu den Vorgängern doch einen Bruch darstellt. Musikalisch ist man nach wie vor zu hundert Prozent NAGELFAR, auch wenn man sich nun verstärkt auf den ursprünglichen Black Metal stützt. Allerdings wird ein Großteil des Sounds nach wie vor von richtig starken Tempiwechseln dominiert, die bei aller (leichter) Veränderung immer noch für die nötige Atmosphäre sorgen. „Sturm der Katharsis“ ist größtenteils im Midtempo angesiedelt und reduziert das Tempo im Laufe des Stücks sogar noch weiter, bis es beinahe doomig wird. Der dunkle Klargesang in diesen Teilen wirkt fast hypnotisch. Das zu Beginn ebenfalls recht doomig wirkende „Hetzjagd auf Palästina“ zieht nach einer Weile das Tempo ordentlich an, bewegt sich bis auf einige Passgen aber nie über oberes Midtempo hinaus. Einer der stärksten Songs auf dem Album, auf den das Instrumental „Westwall“ folgt. Nicht sonderlich spannend, reißt es in den zwei Minuten jedoch auch nicht wirklich aus dem Albumfluss. „Fäden des Schicksals“ knüppelt dann richtig schön nach vorne und fügt dem Album so die nötige Portion Abwechslung hinzu, bevor „Protokoll einer Folter“ tempomäßig dann wieder zwischen schnellen und langsameren Passagen wechselt. Wie bisher geht auch dieses Stück fließend in das abschließende „Meuterei“ über. Die in „Westwall“ schon vorhandenen Bläser kommen auch hier zum Einsatz und lassen den Track generell recht hymnisch erscheinen, wozu auch das Riffing und die Leads beitragen. Im Großen und Ganzen kann man bei „Virus West“ vom schwarzmetallischsten Album sprechen, das NAGELFAR veröffentlichten. Und in gewisser Weise schließt sich hier auch bereits der Kreis zum ersten Demo. Großartig!
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Dies ist natürlich nur ein kleiner Auszug aller in nächster Zeit auf Ván Records erscheinenden Nagelfar-Re-releases. Sobald jedes Format vergüfbar ist, werdet ihr auch auf blacksalvation.de davon erfahren. Die hier genannten Alben könnt ihr jedoch bereits jetzt im Bandcamp-Shop des Labels erwerben sowie weiterhin als CD in deren Webshop. Alle anderen Formate und noch folgenden Re-releases sind jeweils schon per Pre-order erhältlich.
NAGELFAR – Hünengrab im Herbst (Re-release)
Black Metal from Germany
Label / Vertrieb: Ván Records (CD + DLP) & Bandcamp (Download)
Running time: 55:33 minutes
NAGELFAR – Srontgorrth (Die Macht erfasste das Meine wie die Angst das Blut der Anderen – Re-release)
Black Metal from Germany
Label / Vertrieb: Ván Records (DCD + DLP) & Bandcamp (Download)
Running time: 70 minutes (CD 1) + 68:25 minutes (CD2)
NAGELFAR – Virus West (Re-release)
Black Metal from Germany
Label / Vertrieb: Ván Records (CD + DLP) & Bandcamp (Download)
Running time: 62 minutes