Review: UNRU – Die Wiederkehr des Verdrängten

UNRU – Die Wiederkehr des Verdrängten // © 2022 Babylon Doom Cult Records / Unru

Als mir Anfang 2017 das Debüt der Bielefelder UNRU empfohlen wurde, war ich von dessen Verbindung aus Black Metal und brachialem Crust sofort fasziniert. Die brutale Energie auf „Als Tier ist der Mensch nichts“ bringt mich nach wie vor in mal mehr, mal weniger regelmäßigen Abständen auf Hochtouren, und ich war sehr gespannt auf die weitere Entwicklung der Band. Vor allem die Hinzunahme von L. (Sun Worship, Ultha) ins Bandgefüge ließ nicht nur mich aufhorchen und man durfte umso mehr gespannt sein, wie sich der Bandsound zukünftig darbieten würde. Nun liegt mit „Die Wiederkehr des Verdrängten“ der zweite abendfüllende Longplayer vor – und dass dieser die Crust-Wurzeln zugunsten einer extremst atmosphärischen Herangehensweise ablegen würde, hätten wohl die wenigsten in dieser Konsequenz erwartet.

Vor allen Dingen soll man jetzt nicht gleich denken, UNRU wären seichter geworden: Das Songwriting strotzt immer noch vor Energie, die aber nun über andere Stilmittel kanalisiert wird. Die Synthlayer unter dem mal rasenden, mal im Midtempo treibenden Black Metal erschaffen einen ganz eigenen Flow, der gerade in den atmosphärischen, zurückgenommenen Parts einen schweren, doomigen Sound erzeugt. Und doch hat man zu keiner Zeit das Gefühl, man würde davon erdrückt werden. Auch entrücken die Songs den Hörer nicht in andere Sphären, sondern beinhalten etwas zutiefst Realitätsnahes, das aus jeder Note heraus die hässliche Fratze dieses Lebens widerspiegelt. Besonders beeindruckend ist, mit welcher Leichtigkeit man den eigentlich aggressiven Grundton mit dem sphärischen Unterbau kontert. Der erinnert immer mal wieder an gewisse Sci-Fi Black Metal-Konzepte, wobei hier wohl eher ein Begriff wie Dystopian Black Metal passender wäre…

Stilbezeichnungen erscheinen jedoch als Makulatur im Hinblick auf die songschreiberische Klasse UNRUs. Das komplette Album wirkt wie ein einziges gewaltiges Stück Musik, das man am besten in seiner Gesamtheit in sich aufnimmt. Die fließenden Übergänge machen es daher einfach, konzentriert in die fünf teils überlangen Tracks einzutauchen. So ist der Einstieg mit dem sphärischen Ambient-Stück „Kråkstad“ sowohl sehr gelungen als auch überraschend, baut diese ruhige Eröffnung doch die Stimmung des Albums nahezu perfekt auf, ohne irgendeinen Hinweis auf die Zerstörungskraft der folgenden Songs zu geben. Auch der schleppende Übergang in den Titeltrack „Die Wiederkehr des Verdrängten“ ist nur die Ruhe vor dem Sturm, der sich nun erhebt: Denn sobald die flirrenden Riffs sich mit dem nach vorne peitschenden Drumming und den deutlich in den Hintergrund gesetzten Vocals vermengen, gibt es bis auf wenige Ausnahmen keine Rückkehr in ruhige Momente. Bereits hier gibt der Einsatz der Synths einen Vorgeschmack darauf, was die restlichen drei Tracks aufbieten werden, wecken doch spätestens die letzten beiden Minuten des Songs die Gelüste nach mehr. Und „Der Hauch der Freiheit“ bedient dieses Verlangen vortrefflich, verschmelzen hier doch zum ersten Mal all die zuvor genannten Elemente zu einem faszinierenden Klangkosmos. Ich möchte den Track ungern als Höhepunkt herausheben, da alle anderen ebenfalls auf verflucht hohem Niveau agieren und keine Schwäche zeigen. Doch die Wehmut, die dieses Stück durchgehend verströmt, ist regelrecht herzzerreißend, was im Black Metal weder alltäglich noch gern gesehen ist. Das ist ganz große Tonkunst! Mit „Hungersteine“ nimmt man sich anschließend viel Zeit, um dem Hörer etwas Ruhe zu gönnen. Lediglich im letzten Drittel der 15 Minuten treibt man das Energielevel etwas nach oben, während man sich davor in langsam vor sich hintreibenden und doch sehr intensiven Gewässern erholt. Dieser Kontrast entfaltet seine richtige Wirkung dann auch erst im folgenden Albumcloser „Eintausend Stimmen“, der sofort wieder aufs Gas drückt und rein stimmungsmäßig der wohl aggressivste Track ist. Mit einem schönen, lang gehaltenen Ton wird man schließlich aus dem Hörvergnügen geworfen, das nur einen Schluss zulässt: Ab in die nächste Rotation! Ich bin zutiefst beeindruckt!!

Eines darf man abschließend definitiv konstatieren: Es gibt wahrlich nicht viele Bands, die es schaffen, gleichzeitig einen modernen, dabei völlig un-postigen Ansatz zu verfolgen und dabei knietief in einem Sound zu stecken, der im Grunde nahtlos an die besten Momente im atmosphärischen Neunziger-Jahre Black Metal anzuschließen weiß, wenn es um den gewollten Einsatz von Synths geht. Bar jeder Ideologie, befreit von jeglichen Szenezwängen nutzen UNRU ihre Form des Black Metals, um Aggression, Verlorenheit und Schönheit in ein Gewand zu kleiden, dass die stilistische Weiterentwicklung als zutiefst dankbaren Prozess erscheinen lässt. Dass „Die Wiederkehr des Verdrängten“ dabei ein Anwärter auf meine persönliche Topliste dieses Jahres sein würde, hatte ich wirklich nicht erwartet und spricht daher für die hohe Qualität des Releases. (Und regelmäßige Leser wissen ja, wie picky ich in meinem Geschmack bin…) Ich rate daher jedem, sich des Albums anzunehmen und ihm intensiv zu lauschen! PFLICHTKAUF!!! +++ 9 / 10 Punkten

Erschienen ist „Die Wiederkehr des Verdrängten“ am 04.03.2022 via Babylon Doom Cult Records als Digipack-CD (300x), digital sowie als 12″-Doppel-LP auf schwarzem (300x) und auf schneeweißem Vinyl (200x). Bitte beachtet, dass das Vinyl derzeit nur als Pre-order verfügbar ist, voraussichtlich veröffentlicht wird es wohl am 22.05.2022!

UNRU // © 2022 Unru

UNRU – Die Wiederkehr des Verdrängten
Atmospheric Black Metal from Germany
Babylon Doom Cult Records
Running time: 54:23 minutes
Release date: March 4th, 2022 (CD, digital) / May 22nd, 2022 (Vinyl)

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Review © 2022 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation

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