Review: SINIRA – The everlorn

SINIRA – The everlorn // © 2020/2021 Northern Silence Productions / Sinira

Es ist schon bemerkenswert, wie sehr sich die heutige Herangehensweise an Black Metal in vielerlei Hinsicht zu den „goldenen Zeiten“ der Neunziger unterscheidet: Wurde damals noch gnadenlos alles in den Staub gestampft, was der Underground als Anbiederung an die Kommerzialisierung des Genres empfand, findet seit einiger Zeit eine Rückbesinnung auf die andererseits schon damals vorherrschende Unverkrampftheit statt, was die Ablehnung einer Überkategorisierung jeder noch so kleinen Spielart angeht. Sprich: Junge Künstler werden heuer nicht sofort verdammt, bedienen diese sich stilistisch bei den Altvorderen. In erster Linie zählt spannendes Songwriting. Auch ist es dieser Tage kein Verbrechen mehr, Bands aus dem melodischen Black Metal in einem Atemzug mit Blasphemy-Gedächtniskapellen zu nennen. Natürlich wissen wir alle, in welcher Fraktion die Gatekeeper das Sagen haben – aber jeder regelmäßige Leser weiß sowieso, dass ich mich einen feuchten Furz um engstirnige Menschen schere und mich stattdessen lieber darüber freue, dass ich nicht die einzige Person auf der Welt bin, die sowohl Archgoat und Profanatica geil findet, auf der anderen Seite mit Dissection und vielen anderen melodischen Black Metal-Bands einen gesunden Gegenpol und einen wichtigen musikalischen Einfluss abfeiert. Es wird daher wohl niemanden verwundern, dass seit einigen Wochen auch „The everlorn“, das Debüt der Texaner SINIRA, regelmäßig durch die Anlage rauscht, das von der ersten bis zur letzten Sekunde eine tiefe Reverenz in Richtung „The somberlain“ darstellt.

Zugegeben: Originalität sieht anders aus. Und führt man sich vor Augen, wie viele Bands da draußen sich im gleichen Fahrwasser befinden, dann fällt es zumindest beim ersten Hördurchgang schwer, wirklich konzentriert bei der Sache zu bleiben. Aber (und das ist ein ganz großes „aber“): Die handwerkliche Leistung ist für ein Ein-Mann-Projekt auf einem erschreckend hohen Niveau. Das fängt schon beim Songwriting ganz allgemein an, dass nicht einfach das der genannten Schweden kopiert, sondern vielmehr deren Kurs fortführt, sodass man „The everlorn“ direkt nach „The somberlain“ hören kann, ohne einen allzu großen Bruch festzustellen. Gleichzeitig ist dies die ganz große Stärke, wie man am Opener „Where starlight does not shine“ sofort festmachen kann: Melodisches, rasendes Riffing fräst sich unwiderstehlich in die Gehörgänge, die Drumarbeit ist extrem treibend und die Vocals verbreiten ein angenehmes Nödtveidt-Feeling. Mit einer etwas kräftigeren und ausdifferenzierteren Produktion wäre das Ganze sogar noch stärker, gerade die Vocals sind mir persönlich zu weit im Hintergrund; dies ist jedoch Meckern auf hohem Niveau, schließlich sprechen wir von einem Einstandsalbum.

Mit „Gardens of pestilence“ kommt eine schöne Prise Sacramentum hinzu: Die Melodieführung liegt hier eher in den Leads, nicht in den Riffs, was dem Album Dynamik verleiht und den offensichtlichsten Einfluss ein Stück weit abschwächt. Man kann guten Gewissens schon in dieser ersten Viertelstunde behaupten, dass dieser zwar sehr dominant ausfällt, das Songwriting mit jedem weiteren Durchlauf aber immer weitere Facetten durchscheinen lässt. Der folgende Titeltrack „The everlorn“ führt beide Herangehensweisen zu einem stimmigen, fast zehnminütigen Epos zusammen, dem man die Passion für diese Art Black Metal einfach abnimmt. Und dies ist ein ganz wesentlicher Punkt, der mich schon jetzt ein Stück weit das Fazit vorwegnehmen lässt: Denn ebenjene Passion ist der Hauptunterschied zu den unzähligen Plagiaten früherer Jahre (Mitte bis Ende der Neunziger), die damals schlicht und ergreifend einfach nur Fame und im besten Falle ein wenig Geld einstreichen wollten, bevor der Hype wegbrach. Heute, wo mit dieser Musik kommerziell nichts mehr zu holen ist, trennt sich zudem sehr schnell die Spreu vom Weizen, sodass man einem Album wie diesem die Ehrlichkeit einfach anmerkt. Ein instrumentales Interludium wie „Souls of the flame“ unterstreicht diese Annahme zusätzlich, da nicht der Fehler begangenen wird, die unerreichbare Klasse der Dissection-Interludien zu erklimmen, sondern eine eigene Form der Zwischenspiele gesucht wird.

„Tear ladened skies“ ist mit knapp sieben Minuten der kürzeste der regulären Tracks und bringt durch die kompakte Form das oben stehende beinahe perfekt zur Geltung, ebenso das etwas längere „Our final nightfall“. Der Elfeinhalb-Minüter „Endless twilight“ ist allerdings der ungeschlagene Höhepunkt des Albums: Ein rasendes, vor Melodien flirrendes Meisterwerk, das trotz oder gerade der in diesem Review vielfach genannten Reminiszenzen ein überragendes Stück Musik geworden ist. Das Tempo wird nicht einen Moment lang gedrosselt, so dass selbst die wenigen Breaks die Raserei nicht stoppen können. So etwas kann schlicht und ergreifend nur im melodischen Black Metal in dieser Klasse fabriziert werden – noch ein weiterer Grund, sich intensiv mit dem Album zu befassen, dessen Outro „Omega XI“ schließlich zum altbewährten Reflex führt, direkt wieder die Repeat-Taste zu drücken…

Kommen wir im Fazit zunächst auf den ersten Hördurchlauf zurück: Ironischerweise hatte ich vor diesem gerade erst „The somberlain“ durch die Boxen gejagt, so dass ich mich beim Start von „The everlorn“ erst mal vergewissern musste, dass ich wirklich dieses Album hörte – so frappierend ist die Ähnlichkeit beim ersten Antesten. Also saß ich stirnrunzelnd da und hörte in Folge noch einmal das Dissection-Album sowie das Sacramentum-Debüt, bevor ich mich erneut SINIRA zuwandte. Und mit jedem Durchlauf mehr gewann das Album an Qualität. Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass ich genau das Gegenteil erwartet hätte und bin daher umso erfreuter, wie stilsicher das Songwriting gelungen ist und eben kein reiner Plagiarismus herrscht, sondern pure Spielfreude am melodischen Black Metal, den man in dieser Qualität nur noch selten zu hören bekommt. Ich hoffe allerdings sehr, das man sich auf kommenden Releases ebenso eigenständig vom offensichtlichen Vorbild freischwimmen wird, wie dies The Spirit mit ihrem zweiten Album und aktuell Thron mit Album Nummer drei geschafft haben. Fürs erste darf man sich jedoch an einem erstklassigen Album erfreuen, das hoffentlich viele Anhänger findet. Zu wünschen wäre es dem Künstler. KAUFEMPFEHLUNG!!! +++ 8,5 / 10 Punkten

Ursprünglich im Sommer 2020 zunächst digital erschienen, ist „The everlorn“ seit Ende Februar 2021 via Northern Silence Productions als Digipack-CD, als A5-Digipack-CD, als Tape sowie als 12″-Doppel-LP in diversen Vinylfarben erhältlich.

SINIRA // © 2021 Sinira

SINIRA – The everlorn
Melodic Black Metal from the USA
Northern Silence Productions
Running time: 56:06 minutes
Release date: June 26th, 2020 (digital) / February 26th, 2021 (CD, LP, Tape)

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Review © 2021 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation

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