Review: JAHRESRINGE – Dürre

JAHRESRINGE – Dürre // © 2020 Jahresringe

Bei den ganzen Ein-Mann-Projekten, die sich in der Szene so tummeln, habe ich im Grunde schon seit den Neunzigern einen Gedanken im Hinterkopf: Warum? Sicher, man kann oder man will sich nicht immer mit anderen Musikern zusammenrotten, um einer gemeinsamen Vision zu folgen, sondern möchte diese viel lieber alleine, ohne jegliche Kompromisse eingehen zu müssen, verwirklichen. Dafür habe ich insoweit Verständnis, sofern man sich dabei auf ein oder zwei separate Projekte beschränkt, die einen jeweils anderen Ansatz oder stilistischen Schwerpunkt haben. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass 99 Prozent all dieser „Bands“ verzichtbar wären; besondere Grüße gehen an die Myriaden Soloprojekte aus Norwegen und Schweden, die von einer Handvoll Protagonisten ins Leben gerufen wurden und absolut austauschbar klingen.
Zum Glück gibt es aber auch löbliche Ausnahmen wie im Falle von beispielsweise JAHRESRINGE, dessen Kopf Stefan Johannes mit Licht- und Schattensaiten noch ein Projekt betreibt, das sich jedoch durch seinen sehr experimentellen Black Metal von diesem hier unterscheidet. Zwar gibt es auch hier keinen straighten Mittneunziger-Black-Metal zu hören wie bei Skarntyde, dem Duo, dem Stefan angehört, womit die Unterscheidbarkeit schon mal gegeben ist – vielmehr bewegt man sich irgendwo im Mittelfeld beider Extreme, was zu einem interessanten Mix aus Aggression, Zugänglichkeit und Experimentierfreude führt. Mit dem im März 2020 veröffentlichten dritten Album „Dürre“ liegt nun ein Release vor, dessen konzeptioneller Ansatz nicht der einzige Grund ist, sich mit der Musik dazu zu beschäftigen. Und ja, ich weiß, dass ich sehr spät dran bin mit diesem Review…

Fangen wir einfach mal mit dem Offensichtlichsten an: dem Sound. Denn hier haben wir schon den ersten Ohrenöffner: Bei einem Konzept, dass sich (vereinfacht gesagt) die große Dürre in 2018 als Inspiration genommen hat, darf man wohl davon ausgehen, dass die Produktion ebenfalls staubtrocken ist. Und dem ist auch so: Die Snare ist knochentrocken produziert, das bisweilen harte Riffing kommt komplett ohne Dissonanz aus und selbst in den ohrenfreundlichsten Momenten behält man den aggressiven Grundton bei. Persönlich hat mich das sehr überrascht, da diese Herangehensweise jetzt nicht unbedingt mehr der Standard im Genre ist, dem die Veröffentlichungen in den letzten Jahren folgen – leider! Da ich ja immer sehr auf dem Narrativ vom „METAL im Black Metal“ herumreite, finde ich es allerdings äußerst erfrischend, einen solchen Sound aus den Boxen schallen zu hören.

Überhaupt scheinen dem Künstler „moderne Konventionen“ relativ egal zu sein: Nicht nur vom Sound her, sondern auch am Songwriting merkt man deutlich, dass Black Metal zwar die Basis ist, unter der Oberfläche jedoch ein viel breiteres musikalisches Fundament ruht. Das jedoch offenbart sich erst nach und nach. So ist der Opener „Lieblicher Frühling“ noch ein zorniger Ausbruch, der auch die folgenden Tracks gnadenlos nach vorne treibt. Eine gewisse Melancholie zieht sich allerdings schon hier durch jeden dieser Titel, was man zudem im folgenden beibehält – mal mehr, mal weniger offensichtlich. Selbst ein zu Beginn sehr an ganz alte Eisregen erinnernder Song wie „Staubig die Landschaft“ kann sich eines gewissen Charmes nicht erwehren, da man recht bald getragenere Passagen einwebt, die einen schönen Kontrast zu den trockeneren Momenten bilden. Ebendiese Getragenheit nimmt man mit hinüber in „Die Wälder in Flammen“, das (meiner Ansicht nach) sowohl der stärkste Track des Albums ist, als auch eine perfekte Visualisierung vor dem inneren Auge entstehen lässt. Und wo viele Bands spätestens mittels einer solchen Atmosphäre in Post-Gefilde abwandern, sind JAHRESRINGE immer noch durch und durch Black Metal, wenigstens musikalisch. „Wolkenbrüche – Erde fließt dahin“ legt tempomäßig eine kleine Schippe obenauf, bleibt aber gerade so noch im mittleren Midtempo. Mit dem Albumcloser „Neuer Tag, neues Unheil“ lässt man abschließend dann noch ein wenig Avantgarde hineinfließen und bestätigt somit, dass Metal mehr sein kann, als straightes Nach-vorne-Preschen.

Unabhängig davon, wie spät ich mit diesem Review nun dran bin: Ich finde „Dürre“ auch 11 Monate nach dem Erstrelease immer noch verdammt stark. Dieses Ungezügelt-Wilde im Sound, der Anspruch unter der rauhen Oberfläche und die Verbindung toller Songs mit einem spannenden Konzept gelingt JAHRESRINGE ausgezeichnet. Man kann sich in den Tracks gleichermaßen verlieren, wie man sich auch schlicht an ihnen erfreuen kann. Und das umso mehr, als dass das Album mit jedem Durchgang ein Stück weiter wächst. Ich empfehle wirklich jedem, sich intensiv mit diesen knapp 43 Minuten zu befassen und ein tolles Stück Black Metal zu genießen, das man in dieser Form auch nicht jeden Tag zu hören bekommt. KAUFEMPFEHLUNG!!! +++ 8 / 10 Punkten

Erhältlich ist das Album derzeit leider nur digital via Bandcamp. Ein physischer Release wäre wirklich wünschenswert, da sich alleine des Konzeptes wegen eine opulente Aufmachung anbieten würde. Also, liebe Labels: Haltet euch ran!

JAHRESRINGE // © 2020 Jahresringe

JAHRESRINGE – Dürre
Black Metal from Germany
Independent
Running time: 42:58 minutes
Release date: March 19th, 2020 (all formats)

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Review © 2021 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation

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