
Wenn man sich ernsthaft die Frage stellt, was Black Metal aus Deutschland ausmacht, dürften die meisten Hörer wohl eher mit der Schulter zucken. Zu vielfältig sind die Stile, zu oft wird sich an Trademarks anderer Länder orientiert (mal mehr, mal weniger stark) und selten genug schälen sich aus diesem ganzen Wust Bands heraus, die etwas wirklich Eigenes mitbringen und sich langfristig in den Playlists und den Gehörgängen festsetzen. Ob diese Bands nun Nagelfar, Lunar Aurora, Dark Fortress oder Secrets of the Moon heißen: Jede dieser Truppen ist schon nach wenigen Augenblicken zu erkennen und hat zum Teil bis heute großen Einfluss auf die internationale Wahrnehmung der hiesigen Szene. Dass eine Band wie HANGATYR nicht in diesem Kreis auftaucht, zeugt allerdings mal wieder von der traurigen Tatsache, wie viele Hörer selbst im digitalen Zeitalter lieber die international bekannten Bands bzw. den internationalen „Underground“ abfeiern, statt den heimischen Bands mal ausführlich beide Ohren zu leihen. Im Kern ein Mix aus wütendem und melodischem Black Metal haben die Thüringer seit der Bandgründung 2006 eine Demo sowie drei Alben herausgebracht, meistens in Eigenregie, aber jedesmal sehr hochklassig.
So auch das gerade frisch erschienene dritte Album „kalt“. Dessen ungezügelte Energie aus nordischer Raserei, melodischeren Einsprengseln, wie man es aus dem klassischen Pagan Black Metal kennt (frühe Borknagar ab dem zweiten oder dritten Album) sowie den keifenden, sich aber nie hysterisch überschlagenden Vocals erzeugen eine immense Sogwirkung. Schon der Opener „Niedergang“ mit seinem Wechsel aus rasenden, eiskalten Riffs und immer mal wieder eingestreuten Midtempoparts zieht den Hörer in eine vor Kälte starrende Welt, deren hoffnungslose Weite ihn vor Ehrfurcht erschauern lässt. Die drückende, zu keinem Zeitpunkt polierte Produktion trägt ihren Teil zu diesem Eindruck bei: Kraftvoll, nicht hundertprozentig ausdifferenziert (die Drums sind doch ein wenig zu sehr im Hintergrund) und besonders unter einem guten Kopfhörer angenehm basslastig kann man auch an dieser Front vollen Erfolg vermelden. Wie gut das Songwriting geraten ist, erkennt man spätestens im zweiten Track, „Entferntes Ich“, dass das Tempo ordentlich rausnimmt und zunächst im schleppenden Midtempo in die Gehörgänge kriecht, bevor man das Tempo nach gut der Hälfte des Tracks nach und nach anzieht. Auch die folgenden Songs „Firnheim“, „Blick aus Eis“ und „Kalter Grund“ fügen jeweils weitere Teile zum Gesamteindruck hinzu, wobei jedesmal aufs Neue die geschickt gesetzten Tempiwechsel beeindrucken können und dem Album somit einen wunderbaren Flow verpassen. Die Band lässt einem quasi keine Ruhe zukommen; sobald man sich auf ein gewisses Tempo eingegroovt hat, wird unvermittelt die Handbremse angezogen oder aufs Gas gedrückt. Dabei bewahrt man sich allerdings stets eine gewisse Rohheit, ohne die dieser Stil auch nicht funktionieren würde. Epische Momente kommen ebenfalls nicht zu kurz, wie „Blick aus Eis“ mit seinem düsteren, erhabenen Riffing demonstriert und in „Kalter Grund“ hinüberführt. Langeweile geht anders… Einen Ruhepol gibt es dann doch mit dem rein akustischen Titeltrack „…kalt“, das aus wenigen Akkorden und Winduntermalung besteht und schließlich ins Finale „Mittwinter“ und den Albumcloser „Verweht“ mündet. Hier wird noch einmal deutlich, wieviel Kraft den Songs und der Band innewohnt, bricht diese letzte Viertelstunde nach dem kurzen Instrumental doch wie eine Naturgewalt über dem gewillten Hörer herein. Wem hierbei nicht das schwarze Herz aufgeht, der hat wahrlich keines, gräbt sich doch besonders „Mittwinter“ tief in ebenjenes hinein. Da bleibt am Ende nur noch der Wunsch stehen, nach dem Verklingen der letzten Töne direkt die Repeat-Taste zu drücken… Ich bin extremst begeistert!!!
Was kann man dem als Fazit noch hintenanstellen? Vielleicht noch dieses: Wer im vergangenen Jahr das aktuelle Borknagar-Album abgefeiert hat, der bekommt mit „kalt“ nun auch noch den kleinen, wilden Bruder an die Seite gestellt. Es ist erstaunlich, wie gut sich beide Bands ergänzen, obwohl sie musikalisch nichts miteinander zu tun haben. Doch genau das macht gute Musik aus: Beim Hörer das Gefühl von Vertrautheit zu erwecken und dennoch etwas ganz Eigenes zu sein. HANGATYR haben somit schon mal ein Highlight des noch relativ jungen Jahres abgeliefert, dass sich jeder – JEDER – zu Gemüte führen sollte, dem Wut und Melodik zugleich am Herzen liegen. Ob man dies nun Black Metal oder Pagan Black Metal nennt, ist dabei völlig egal. Am Ende zählt doch nur eines: Dass dich das Album mit auf eine Reise nimmt, dich im Herzen berührt und im innersten deiner Gefühle packt und diese nach außen trägt. Und das gelingt momentan keinem Album so umfassend wie „kalt“. PFLICHTKAUF!!! +++ 9 / 10 Punkten

HANGATYR – kalt
Black Metal from Germany
Independent
Running time: 48:08 minutes
Release date: March 2nd, 2020 (all formats)
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Review © 2020 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation