TOTENGEFLÜSTER – The faceless divine

TOTENGEFLÜSTER – The faceless divine // © 2019 Black Lion Records / Totengeflüster

Nach 28 Jahren in der Black-Metal-Szene sieht man viele Dinge etwas gelassener; zum Beispiel unterscheidet man viel eher zwischen guter Musik und schlechter, denn lediglich anhand von stilistischen Grenzen. Was zählt, ist alleine das Gefühl, von den Songs mitgerissen zu werden. Erstaunlicherweise ist es gerade diese Einstellung, die vielen (jungen) Bands derzeit eigen ist – anders lässt sich das Revival im Symphonic und Melodic Black Metal kaum erklären, waren diese Genres über die letzten mindestens 15 Jahre eher ungliebte Stiefkinder eines Stils, der sich Ende der Neunziger begann, neu zu konsolidieren und jeglichen Trends unbarmherzig den Kampf ansagte. Man könnte es eine Wendung hin zu einer rein immersiven Kraft deuten, die diesen Subgenres mittlerweile zu einem neuem Schub verholfen hat. Und so langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass stilistische Abgrenzungen im Grunde eher hinderlich für die Szene sind und man sich lieber unter dem gemeinsamen Banner BLACK METAL versammelt. Elitisten mögen das natürlich anders sehen, ich für meinen Teil bin dann doch lieber erwachsen und reif genug, geile Mucke als solche zu benennen, selbst wenn die jeweiligen Bands sich doch relativ stark an den Größen der Neunziger orientieren. Zum Beispiel die Baden-Württemberger TOTENGEFLÜSTER, die in wenigen Wochen ihr drittes Album „The faceless divine“ veröffentlichen werden und ihr Augenmerk auf alte Dimmu Borgir oder Obtained Enslavement legen. Was nicht gerade die schlechtesten Referenzen sind, zieht man deren Status vor 20 Jahren heran. Dass man jedoch mit viel Eigenständigkeit zu Werke geht, schauen wir uns im Folgenden einmal genauer an.

Haken wir aber zunächst einmal die Kritikpunkte ab: Derer gibt es im Grunde nur zwei und die betreffen auch eher Oberflächlichkeiten. Zum einen wäre da die etwas zu leise Produktion (was aber evtl. auch an der Promo liegen mag), die zwar schön druckvoll und massiv ist (ein weiterer Beweis dafür, welch hoher Standard im DIY mittlerweile herrscht), aber das Hochdrehen der Anlage finde ich persönlich etwas schade. Zum anderen kommt es immer mal wieder vor, dass man doch ein wenig zu eng an den Vorbildern klebt, was zwar keine unangenehmen Gefühle im Hörer auslöst, aber dennoch ein wenig die Immersion stört, zumindest beim oberflächlichen Hören. Man sieht, es ist Kritik auf hohem Niveau, so dass wir uns nun dennoch unbeschwert auf die Songs stürzen können. Mit dem atmosphärisch sehr dichten Intro „The arrival of the withered“ findet man einen sehr guten Start in das Album, das mit seinem Opener „On carrion wings“ auch direkt durchstartet: Pfeilschnelles Drumming, flirrendes Riffing, dominante Synth-Teppiche und herrlich unaufgeregtes Gekeife. Besonders der Synth-, bzw. Keyboard-Einsatz beweist die Nähe zu den oben erwähnten Bands, kupfert dort jedoch nicht ab, sondern sucht sich eigene Wege im Ausdruck. Erkennbar wird dies, sobald sich der Track alleine auf die Leads stützt, in denen die Tasteninstrumente nur noch schmückendes Beiwerk sind. Dies ist eben der große Unterschied zu den alten Bands, dass man Bombast nicht um des Bombasts willen einsetzt, sondern nur in den passenden Passagen. „The hollow wanderer (Cursed)“ dient dafür als Beispiel, auch wenn es schon irgendwie ein gewisses „Mourning palace“-Gefühl aufkommen lässt. Das große Aber auch hier: So reduziert der Track zunächst auch wirken mag, seine große Stärke ist definitiv das genau richtige Maß an Tempo und Atmosphäre. Etwas zackiger geht es in „The hunt“ sowie „Affliction“ weiter; Abwechslung wird also großgeschrieben, so dass man sich nicht in eine festgefahrene Schiene pressen lässt. Wie bereits in den vorigen Songs sind es die immer wieder aufblitzenden melodischen Leads und Harmonien, die einen Großteil der Songs tragen und ihnen das gewisse Etwas verleihen. So wie in „Extinct paradise“, das atmosphärisch zu den dichtesten Tracks gehört, dicht gefolgt vom folgenden (haha!) „Grant us thy blessing“, das bei entsprechender Lautstärke verdammt gewaltig aus den Boxen schallt. So langsam geht das Album in die Endphase; Zeit also, mit „Vermin“ noch mal ordentlich Gas zu geben und diese Energie mit in den Albumcloser „Reise eines verlorenen Geistes“ zu nehmen, der noch einmal sämtliche Stärken der Band bündelt. Mit dem sehr stillen Outro „Requiem“ beendet man schließlich ein Album, das verflucht viel Spaß macht.

Die beiden Bonustracks sollen natürlich auch nicht unerwähnt bleiben: „Entflamme mich“ ist in gewisser Weise ziemlich outstanding, ist es doch der langsamste Song auf dem Album und anders als die übrigen Stücke nicht sonderlich geprägt von den bekannten Einflüssen. Vielmehr erinnert es an ruhigere Momente von Bands wie Lunar Aurora, so dass die Grenze zwischen Symphonic und klassischem Black Metal relativ verschwimmen. Mit einer alternativen Version zu „The hollow wanderer“, der Satin Version, zieht zudem noch ein wenig The Vision Bleak-Flair ein, bedingt durch die tiefen, klaren Vocals. Sollte man sich ebenfalls nicht entgehen lassen!

Bei aller Freude über das Revival im Symphonic Black Metal darf man eines nicht vergessen: Der Stil ist, ebenso wie die extremeren Formen, Liebhaber- und Nischenmusik, da sich der Großteil der Black-Metal-Szene doch eher anderen Ausprägungen zugehörig fühlt. Jedoch sollte man bei aller Differenziertheit gerade deshalb mit umso mehr Begeisterung eine Band wie TOTENGEFLÜSTER supporten, die ihren Teil dazu beitragen, dass sich der Stil wieder im Aufwind befindet. Sei es ihres DIY-Ansatzes wegen oder dank des spannenden Songwritings: Mit „The faceless divine“ hat das Quintett ein verflucht starkes Album in der Hinterhand, das definitiv zu mehr taugt, als bloßes Aufwärmen der Neunziger. Ich für meinen Teil bin wirklich begeistert von der Leidenschaft, die hier an den Tag gelegt wird und kann das Album nur jedem empfehlen, für den Black Metal mehr ist, als bloße Abspaltung vom Kommerz. Großartig! KAUFEMPFEHLUNG!!! +++ 8,5 / 10 Punkten

Vorbestellen könnt ihr das Album derzeit über den Bandcamp-Shop des Labels, und zwar als Digipack-CD und digital. Wie gewohnt, gibt es alle Infos dazu noch einmal am Releasetag auf der Facebook-Seite von Black Salvation zu lesen.

TOTENGEFLÜSTER // © 2019 Totengeflüster

TOTENGEFLÜSTER – The faceless divine
Symphonic Black Metal from Germany
Black Lion Records
Running time: 58:54 minutes
Release date: October 11th, 2019 (all formats)

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Review © 2019 Beatrice Sophia von Siedler / Black Salvation

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