BLYH – Transparent to the world

Copyright: The Crawling Chaos Records / Blyh - Image shows vinyl cover
Copyright: The Crawling Chaos Records / Blyh – Image shows vinyl cover

Es ist manchmal schon wirklich komisch: Da bekommt man ein sensationell gutes Debüt auf den Tisch und hat dann eine absolute Schreibblockade. Seit BLYH im Juni letzten Jahres ihr Demo „Transparent to the world“ im Eigenvertrieb über Bandcamp sowie wenige Wochen später als schickes Tape veröffentlichten, ringe ich um die passenden Worte. Mit keinem Entwurf war ich zufrieden, und je länger ich daran saß, desto mehr verbiss ich mich in die Wortfindung. Dass so ein Prozess nicht von Erfolg gekrönt sein kann, sollte jedem klar sein, der selbst schon einmal vor diesem Problem gestanden hat. Die Monate gingen ins Land, gezeichnet von privaten Veränderungen, erneuten gesundheitlichen Problemen (so ein Hirntumor ist schon etwas ganz schön Beschissenes) und schlussendlich noch Stress in der Kanzlei, in der ich arbeite. Als es Anfang diesen Jahres dann endlich ruhiger wurde und ich Anfang März die anstehende Vinyl-Veröffentlichung von „Transparent to the world“ als vollwertiges Debüt zum Anlass des Reviews nehmen wollte, kam die nächste Scheiße: Meine Tochter wurde von einem Geistesgestörten überfahren und liegt seitdem auf der Intensivstation, schwebend zwischen Bewusstlosigkeit und komatösem Zustand. Dass seitdem höchstens mal an die Veröffentlichung von News zu denken war, möge man mir bitte verzeihen. Rein körperlich bin ich im Moment einfach nur ausgelaugt, zumal auch der Stress in der Kanzlei wieder da ist. Das Feuer brennt jedoch unlöschbar, so dass ich es nun für an der Zeit halte, diese lange Pause ENDLICH zu beenden und vor allem mit einer Band wieder in den Reviewzirkus einzusteigen, die es mehr als nur verdient hat.

Copyright: The Crawling Chaos Records / Blyh - Image shows tape version
Copyright: The Crawling Chaos Records / Blyh – Image shows tape version

Wer alle drei Formate von „Transparent to the world“ kennt (bzw. schon besitzt), dem ist als erstes sicherlich aufgefallen, dass die Tracks nicht Eins-zu-Eins vom Demo auf die LP übernommen wurden, sondern dass Teile des Songwritings neu arrangiert wurden. Da zudem beide Versionen auf ihre jeweils ganz eigene Weise faszinierend auf den Hörer wirken, wäre es unfair, in diesem Falle von ‚Geldschneiderei‘ oder ‚Zweitverwertung‘ zu reden. Wir reden hier immer noch von einem Debüt; da ist so etwas absolut gerechtfertigt. Und da dies hier immer noch ein Fanzine ist, erlaube ich mir den Luxus und gehe in erster Linie auf die LP-Version ein.

Mit einem elf-minütigen Opener kann man bei mir schon mal nichts falsch machen. So ist „The strength of a woman can be boundless“ vom ersten Takt an ein wahres Monster an Emotionen: Midtempo-Riffing wechselt sich mit melodischen Passagen ab, in denen man das Tempo zwar herausnimmt, aber in keinster Weise an Wucht verliert. Zudem verzichtet man auf jegliche Anbiederung an irgendwelche „Post“-Strömungen und navigiert somit auf genau derselben Schneide zwischen Old School und Moderne wie in jüngster Vergangenheit Beltez. Gerade die schnellen Passagen hätte man jedoch auch ohne weiteres auf das Setherial-Debüt packen können. Das Wichtigste allerdings ist: Es wird nicht langweilig. Hier ist ein absoluter Könner am Werk, der nicht nur den Black Metal an sich verinnerlicht, sondern auch als Kunstform verstanden hat. Denn besonders das Zusammenspiel mit den sehr genre-untypischen Texten macht einen großen Reiz von BLYH aus. Und hätte man mir vor einem Jahr gesagt, dass ich einmal Expressionismus im Black Metal zu schätzen weiß, wäre ich wahrscheinlich ungläubig vom Hocker gefallen. So kann man sich irren: Weder geht es hier um Tod und Teufel, auch Okkultes sucht man vergebens. Viel eher stehen Themen wie Einsamkeit, eine menschenleere Welt, der Mensch in urbaner Einsamkeit im Mittelpunkt. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die thematisierte Stärke der Frauen im Opener (und nein, es geht hier NICHT um Feminismus) sowie im Bonustrack des Demos.

Mit dem folgenden Titeltrack folgt man dem eingeschlagenen Weg, lässt das Riffing nun jedoch deutlich böser und tiefer klingen, scheut sich aber auch nicht vor dem Einsatz unverzerrter Passagen. Und ich kann mir nicht helfen, aber gerade das hohe und melodische Riffing erinnert mich immer wieder an neuere Nargaroth; und das ist nicht die schlechteste Referenz. Natürlich könnte ich jetzt auch eine Band wie Der Weg einer Freiheit nennen; die finde ich allerdings gerade auf den letzten Alben etwas schwächelnd, so dass dieses Album hier deutlich hervorsticht. Denn besonders die Tempiwechsel sind so exzellent gesetzt, dass diese nie vorhersagbar sind und fließend ineinander übergehen. „So willingly dead“ öffnet das Album anschließend hin in Richtung norwegischer Einflüsse. Besonders alte Darkthrone oder auch Taake sind hier gut zu erkennen, ohne in irgendeiner Weise an Worshipping zu grenzen. So viel Eigenständigkeit ist wirklich bemerkenswert und lassen den offiziellen Album-Closer „The shortening of the way“ mit seinen fast zwölf Minuten Spielzeit schon fast wehmütig herankommen. Rein vom Songwriting her geht man den umgekehrten Weg zum Opener: Immer noch wuchtig im Gesamtsound liegt der Fokus hier eher darauf, das komplette Potential des Albums unter einen Hut zu bringen. Nicht die Aggressivität ist hier das entscheidende Merkmal, sondern das Zusammenspiel der Tempiwechsel. Und spätestens jetzt ist klar, dass man mehrere Durchläufe braucht, um „Transparent to the world“ in seiner Gesamtheit zu verstehen. Die Krone setzt dem Track der atmosphärische Mittelpart auf, gefolgt vom wieder sehr melodischem Riffing, dass zum Ende hin erneut scharf an der Grenze zur Moderne agiert, diese allerdings nicht überschreitet. Auch ohne die Bonustracks wäre somit ein verdammt starkes und vor allem bemerkenswertes Stück Musik auf den Hörer eingestürzt, dass keine andere Wahl lässt als das Album direkt erneut zu hören und sich wieder und wieder in ihm zu verlieren…

Und wer immer schon mal wissen wollte, wie man Grindcore in Black Metal umfunktioniert, der sollte sich noch den Bonustrack „Narrow-minded criteria“ (im Original von Systral) zu Gemüte führen. Zwei Minuten, die man für einen kurzen Gewaltakt nutzt. Der jedoch so abrupt endet, dass man in den ersten Augenblicken der Stille leicht verwirrt ist. Da hilft wirklich nur erneutes Auflegen der A-Seite. Oder aber man führt sich das Album noch in der Demo-Version zu Gemüte: Dann kann man sich auf den dortigen Bonustrack einlassen. „Tigress“ von Songs: Ohia ist im Original schon ein sehr emotionales Stück Musik, das im Black Metal-Gewand jedoch nicht wiederzuerkennen ist. Ich habe selten ein genreübergreifendes Cover gehört, das so gut funktioniert. Große Klasse!

Abschließend noch ein Wort zur Produktion. Die ist durchgehend sehr gut und differenziert, lediglich die Cymbals hätten ein wenig mehr Raum verdient.

Was soll ich als Fazit da noch großartig nachreichen? So seltsam es erscheinen mag, gerade die lange Beschäftigung mit dem Album hat extrem gut getan. Nicht nur in persönlicher Hinsicht, sondern auch und vor allem im Hinblick auf die Langzeitwirkung der Songs. Gerade, wenn man nicht nur musikalischen, sondern auch intellektuellen Anspruch an die Kunstform Black Metal hat, wird man dieses Album begeistert zelebrieren. Und wenn man auf diesem Niveau weiter aufbaut, dann ist man spätestens mit der zweiten Langrille ein essentieller Teil im heimischen Black Metal-Underground. Ich bin nach wie vor schwer begeistert. Es gilt: ABSOLUTE KAUFEMPFEHLUNG!!! +++ 9 / 10 Punkten

Copyright: Blyh - Image shows digital version
Copyright: Blyh – Image shows digital version

Da das Tape bereits restlos ausverkauft ist (ebenso wie die Collectors Edition der LP), könnt ihr jedoch noch auf das reguläre Vinyl-Format als klare LP sowie die digitale Distribution zurückgreifen. Ich empfehle beide Versionen, alleine schon der beiden unterschiedlichen und absolut großartigen Bonustracks wegen.

Copyright: Blyh
Copyright: Blyh

BLYH – Transparent to the world
Black Metal from Germany
Label / Distribution: The Crawling Chaos Records (LP + Tape) & Bandcamp (Digital)
Running time: 43:30 minutes (LP) / 44:01 (Tape + Digital)
Release date: 04.05.2017 (Digital) / 18.07.2017 (Tape) / 16.03.2018 (LP)

www.bandcamp.com
www.thecrawlingchaos-records.de

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