JÖRMUNGAND – Zwischenwelten

Copyright: Jörmungand
Copyright: Jörmundgand

Es kommt ja nicht besonders oft vor, dass man mich noch überraschen kann mit Releases, die man so gar nicht auf dem Schirm hatte. Zu oft ist das dort Gebotene zwar richtig gut, allerdings fehlt der letzte entscheidende Funken Kreativität (im besten Falle Originalität), um aus der riesigen Masse an Veröffentlichungen herauszuragen. So erging es 2014 auch dem Debüt „Von Wind und Schatten“ der aus Köln stammenden JÖRMUNGAND, die mit eben jenem Album ein zwar solides Stück Musik in der Schnittmenge von Viking, Folk und Pagan Metal veröffentlichten, das stellenweise aber noch zu unausgegoren klang, um einen tieferen Eindruck zu hinterlassen. Was damals bereits sehr positiv herausstach, waren die nicht ganz so klischeebeladenen Texte sowie der Verzicht auf die für das Genre leider so übliche Kirmesatmosphäre. Wer sich ein bisschen intensiver mit dem Album auseinandersetzte, erkannte schon die Fähigkeiten, die da noch unter der Oberfläche schlummerten und die man nun mit dem im März erscheinenden Zweitling „Zwischenwelten“ zur vollen Blüte bringt. Stilistisch hat man sich vom Viking Metal gelöst und auch der Folk-Anteil ist nun weitestgehend einer eher progressiv ausgerichteten Melange aus angeschwärztem Black Metal sowie orchestralen Arrangements gewichen, die extrem gut in Szene gesetzt ist, wie man im Folgenden noch lesen wird.

Der erste Blick gilt der visuellen Aufmachung. Hier wurde sehr viel Liebe investiert, um nicht nur den Albumtitel, sondern auch die einzelnen Tracks bildlich zu gestalten. Jeder Text hat sein eigenes Motiv erhalten, so dass dadurch auch eine ganz eigene Bildersprache zur Geltung kommt, die in Verbindung mit den ausgezeichneten Lyrics zum lange Verweilen einlädt. Das lyrische Konzept des Albums ist meines Wissens nach im Metal absolut einzigartig. Denn mir ist keine andere Band bekannt, die Michael Ende’s „Die unendliche Geschichte“ als Metapher verwendet für das Entstehen, Entwickeln und Vergehen eines Menschenlebens. Da dieser Kreislauf des Lebens auch die Intention ist, die hinter dem Buch steht, finde ich es umso faszinierender, wie man die sehr bildhafte Sprache des Autors mit dem eigenen Konzept verwebt, ohne dabei konkret irgendwelche Schauplätze, Personen oder spezielle Handlungsstränge zu verwenden. Mit jedem neuen Bild, mit jedem neuen Text erschließen sich jedoch sofort die zugrunde liegenden Inspirationen.

Mit sehr ruhigen Tönen steigt man in den Opener „…und es wird Tag“ ein. Schon diese ersten 90 Sekunden machen deutlich, dass man atmosphärisch ein ganzes Stück reifer geworden ist als noch zu Debüt-Zeiten. Sobald man elektrisch verstärkt endlich so richtig loslegt, wird dieser Eindruck sogar noch verstärkt: Denn nicht nur als reine Band ist man gewachsen, auch die immer wieder durchschimmernden Orchester-Arrangements sind äußerst schlüssig in den Sound integriert und erinnern mich in ihrer Schönheit zum Teil an das letzte Skyforest-Album, „Unity“. Ein weiterer Punkt, der sofort positiv heraussticht, ist das durchdachtere Songwriting, dass die Songs sehr leicht zugänglich macht, allerdings mit sehr vielen verspielten Momenten arbeitet, die man alle erst nach und nach entdeckt. Die Tracks fließen zudem nahtlos ineinander über, so dass man beinahe keinen Übergang spürt. Man befindet sich daher plötzlich im „Morgenrot“, dass vor allem mit dem recht früh eingefügten, sehr stillen Part, sowie den klaren Leads punkten kann. Viele ähnlich gelagerte Bands machen in solchen Momenten oft den Fehler, alles mit Kitsch und Pathos (oder noch schlimmer: Kirmesmusik) zu füllen, was letzen Endes weder der Musik an sich noch der Stimmung gerecht wird, die man doch eigentlich kreieren möchte. JÖRMUNGAND dagegen schaffen es gerade in den zurückgenommenen Phasen mit einer dann nur noch sehr spärlichen Instrumentierung für ein fast schon erhabenes Gefühl zu sorgen. Die Texte sorgen somit in den reinen Metal-Momenten als stilistisches und sinnvolles Stilmittel. Und gerade wegen des oben beschriebenen Konzepts funktionieren diese zusammen mit der Musik wie eine unteilbare Einheit, was sich auch in „Ruf der Vergängnis“ niederschlägt. Was mir generell sehr gut gefällt, sind die zwar nach wie vor Black Metal-lastigen Vocals, die aber dennoch sehr gut verständlich sind, auch wenn man kein Textblatt in der Hand hat. Man muss sich eben die Mühe machen und sich intensiv mit dem Album beschäftigen. Dann kann man sich nach einer Weile so richtig in das Album fallen lassen und empfindet nur noch Freude darüber, soviel Zeit in ein einfach nur wunderschön zu nennendes Album zu stecken; immer und immer wieder. Und lange, akkustische Parts wie die letzten beiden Minuten in diesem Track zeugen zudem vom gewachsenen Selbstbewusstsein der Musiker. „Zu hohen Himmeln“ beeindruckt durch die Fülle an Material, dass man in diese fünf Minuten hat einfließen lassen. An den Klargesang muss man sich zwar erst ein wenig gewöhnen, dazu bedarf es jedoch nur einiger weniger Durchläufe.  Ein wenig leichter zugänglich, jedoch nicht weniger anspruchsvoll ist „Werdegänger“, dass durch sein stellenweise doch recht modernes Riffing, das konsequente Midtempo inklusive ausgezeichneter Doublebass-Arbeit und einigen geschickten Breaks besonders live zünden wird. Wie man unschwer auch am folgenden Video sehen kann.

Das Instrumental „In Hallen stummer Worte“ ist schließlich ein reines Orchester-Arrangement. Besonders dieser Track ist es, der mich ganz persönlich für dieses Album eingenommen hat, da gerade ein solches Stück die Qualität einer Band unter Beweis stellt. Wer zudem epische Soundtracks zu schätzen weiß, wird ebenfalls mit diesem Track seine helle Freude haben (und dass es davon viele in der ganzen Metalszene gibt, wird wohl auch jeder wissen). Man mag es fast nicht glauben, doch nun setzt langsam das letzte Albumdrittel ein, eingeläutet durch „Dämmerung“: Selten habe ich Geigenklänge so gut akzentuiert im Pagan Metal gehört, ohne dass es nach peinlichem Gefiedel geklungen hat. Sehr schön (irgendwie fällt dieses Adjektiv sehr oft in diesem Review). Auch die eingestreuten Leads klingen wieder sehr gekonnt und schlüssig in den Track integriert. Den „Neumond“ leitet ein erneut langes, akkustisches Intro von zwei Minuten ein. Und das gehört mit zu den schönsten Momenten auf „Zwischenwelten“. Denn das Songwriting erreicht einen weiteren Höhepunkt durch den Einsatz so vieler verschiedener Stimmungen, die einen fast schon schwindeln lassen. Schnelle Passagen wechseln sich mit Midtempo ab, klare Leads sorgen für die außergewöhnliche Atmosphäre, die immer zwischen Melancholie und Epik schwebt. Der eingesetzte weibliche Klargesang wirkt nicht aufdringlich oder nach Heldenjungfrau und selbst die kurz eingesetzte Flöte hat nichts versoffen fröhliches an sich, sondern dient nur als kleiner Farbtupfer in dem eh schon monumentalen Gemälde. Das findet seinen Abschluss im finalen „Requiem“: Ein zehneinhalb Minuten dauernes Stück unglaublich intensiver Schönheit. Nicht nur verbindet man die Essenz des kompletten Albums in ein Ganzes, sondern schließt auch texlich den Kreis zum Opener.

Es ist unfassbar, was in dieser Stunde Musik mit mir angerichtet wurde: Da befinde ich mich dank der aktuellen Alben von Watain und Abigor in den tiefsten Niederhöllen und werde durch „Zwischenwelten“ für einen kurzen Moment wieder an die Oberfläche gezogen. Und dieses Verweilen im Lichte war nur allzu gut: Die gewaltige visuelle Kraft, die durch die Texte und die Musik erschaffen wird sowie die damit verbundenen Arrangements der Musik selbst sind einfach nur bar jeder Krititk und bis hin zur Umsetzung der physischen Verpackung dieses Inhalts wert, von jedem zumindest mal ausgiebig angetestet zu werden. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann das letzte Mal eine Band einen so gewaltigen Sprung vom ersten Album zu dessen Nachfolger gemacht hat. Wer hier nicht zugreift, wird eines der ganz großen Alben des Jahres 2018 (und gut möglich darüber hinaus) verpassen. Ich für meinen Teil kann es kaum erwarten, das Endprodukt in Händen zu halten. PFLICHTKAUF!!! +++ 9 / 10 Punkten

So wie es im Moment aussieht, wird „Zwischenwelten“ wohl komplett als DIY-Produkt in den Eigenvertrieb gehen. Ab dem Release-Tag könnt ihr das Album daher über den Bandcamp-Shop der Band erwerben.

Copyright: Jörmungand
Copyright: Jörmungand

JÖRMUNGAND – Zwischenwelten
Progressive / Blackened Pagan Metal from Germany
Label / Vertrieb: Independent / Bandcamp (Download)
Running time: 65:47 minutes
Release date: 16.03.2018 (all formats)

www.bandcamp.com

Anregungen? Kritik? Immer her damit...

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.